- Qualtrics bietet Cloud-Lösungen für das Experience Management von Kunden und Mitarbeitern und hat bereits zahlreiche namhafte Kunden
- SAP will den Markt für CRM neu definieren, dafür braucht es aber einen klaren Integrations- und Innovationsplan für das Experience Management
- Insbesondere in Deutschland ist der Markt noch sehr klein – viele Unternehmen können über einen besseren Zugang zu Qualtrics einen Vorteil haben
- Statt des IPO für 5 Mrd. US-$ bekommt Qualtrics 8 Mrd. US-$ – das 20-fache des Umsatzes und ein x-faches des verschwindend kleinen Gewinns
Wenige Tage nachdem IBM die größte Firmenübernahme der Geschichte bekanntgegeben hat zieht SAP mit seinem eigenen Rekord-Deal nach. Ohne große Vorwarnung kündigte SAP die Übernahme des Cloud Experience Management-Spezialisten Qualtrics aus Utah an. Zwar kostet Qualtrics nur ein Viertel von Red Hat, dennoch bedeutet der Deal genau wie bei IBM ein ebenso hohes Risiko, (zu?) viel Geld für Produkt, Know-how und einen Boost des Cloud-Business und viel Arbeit in der Post Merger Phase. Eines steht bereits fest: SAP hat Qualtrics nicht aufgrund seiner finanziellen Situation gekauft, sondern weil dahinter offenbar ein klarer Plan für das Produkt- und Cloud-Portfolio steht. Viele Beobachter sehen darin auch einen Frontalangriff auf Salesforce und deren Vorherrschaft im Cloud-CRM-Markt. Bis es dazu kommt, muss sich das Qualtrics Produkt aber nahtlos in die CRM-Sparte von SAP integrieren. Sonst hat SAP erst einmal nur ein neues Marktfeld rund um Experience erweitert und für sich erschlossen. Das mag für sich genommen schon ein Erfolg sein, angesichts des Preises und der Kampfansage von Bill McDermott wäre es aber viel zu wenig.
Cloud Customer Experience Management – das bringt Qualtrics SAP
Qualtrics gibt es schon seit dem Jahr 2002. Begonnen hat der Anbieter mit Umfragesoftware für Wissenschaftler. Seit 2008 hat Qualtrics seine Strategie auch auf Unternehmen als Zielkunden ausgeweitet und sein Portfolio in Richtung digitales Experience Management ausgebaut. Trotz der flächendeckenden Unbekanntheit des Anbieters zählt Qualtrics zahlreiche große Unternehmen weltweit, darunter auch in Deutschland, zu seinen überwiegend zufriedenen Kunden.
Der Kern des Portfolios ist die Umfragesoftware und das zugehörige Datenmodell, um Kunden- und Mitarbeitererfahrungen auszuwerten. Qualtrics bietet verschiedene Möglichkeiten, zur Customer, Brand, Product oder Employee Experience Fragebögen aufzusetzen und diese mit Hilfe von Analysetools und künstlicher Intelligenz in relevante Informationen wie den Net Promoter Score oder zur Digital Customer Experience zu übersetzen. Damit können vor allem Unternehmen mit direktem Kundenkontakt über Call-Center, Vertriebsteams, Stores oder Makler bzw. Agenten einen besseren Eindruck über ihre Performance und Verbesserungspotentiale erhalten. Qualtrics hat in den letzten Jahren bereits gezeigt, dass es in Sachen Innovation und neuer Technologien frühzeitig dabei ist und Cloud als maßgeblichen Standard für die eigene Produktpalette definiert. Auch der Einstieg in erste AI und Machine Learning-Tools für die Auswertung der Daten zeigt, dass hier einiges an Potential und Expertise für die weitere Produktentwicklung möglich ist.
SAP legte bislang in seiner CRM-Sparte den Fokus auf nüchterne operative Daten. Jedoch hat SAP schon heute ein Customer Experience Management Angebot, das auf diesen operativen Daten basiert. So kann SAP aus den Geschäftsdaten und Metriken aus dem CRM mit den eigenen Analysetools um HANA ähnliche Aussagen treffen, wie es Qualtrics in seinem Kerngeschäft macht. Die Kompetenz in operativen Daten von SAP wird jetzt durch die Emotionen der Kunden als zusätzliches Attribut erweitert. SAP und Qualtrics sprechen selbst von der Kombination von O-Data & X-Data für eine neue Form des Experience Management.
Quelle: www.qualtrics.com
Diese Kombination wird für SAP der alles entscheidende Erfolgsfaktor sein. Nur wenn die Plattform wirklich in die CRM-Lösungen von SAP integriert wird und das bestehende Portfolio um neue Möglichkeiten erweitert wird, macht der Qualtrics-Deal Sinn. Denn SAP ist und bleibt der Partner für das Alltagsbusiness und darf diesen Bezug in seinen Produkten nicht verlieren. Der Markt für Experience Management alleine ist nicht groß genug, um diesen Zukauf zu rechtfertigen. Es funktioniert tatsächlich nur dann, wenn das Kerngeschäft um neue Lösungen erweitert und wohl dosiert neu definiert wird.
Crisp Research ist der Überzeugung, dass Qualtrics nicht in der Lage sein wird, aus dem SAP-CRM über Nacht eine erfolgreiche Cloud-Lösung zu machen. Dass viele Kunden SAP die eigene Cloud-Story noch immer nicht abkaufen, hat vielerlei Gründe, die vor allem mit der Historie, Langfristigkeit und bekannten Vorurteile für Core-Business-Applikationen aus der Cloud zusammenhängen. Wenn SAP jetzt einen Teil des CRM-Portfolios als Cloud-Lösung bieten kann, heißt es nicht, dass CRM als Cloud-Lösung automatisch genauso akzeptiert wird.
Jeder braucht es, wenige haben es – die Marktchance für Customer Experience Management
Customer Experience Management folgt einer einleuchtenden Idee: Die Analyse des Kundenverhaltens und deren Einstellung zu einem Produkt, Angebot oder Unternehmen sorgt dafür, dass Unternehmen sich kundenfreundlicher aufstellen und somit die Customer Experience verbessern können.
Zwar müssen die Unternehmen selbst auf die richtigen Schlüsse kommen, die aus den Analysedaten hervorgehen, dennoch hat sich Customer Experience Management insbesondere bei großen Unternehmen schon sehr häufig bezahlt gemacht und ist ein Grund dafür, warum gerade die globalen und großen Unternehmen durchschnittlich über eine bessere Kundenkommunikation verfügen als viele Mittelständler.
Dass die Akzeptanz hierzulande vermeintlich nicht besonders hoch ist, liegt gleich an mehreren Gründen:
a) Angebot überwiegend US-amerikanisch/global – Nur wenige Unternehmen aus Europa bieten entsprechende Lösungen, der Markt wird beherrscht durch US-Companies. Nur wenige Anbieter haben den Sprung nach Deutschland geschafft oder haben ihren Hauptsitz hier.
b) Cloud-Skepsis – Viele Unternehmen haben nur unter Zwang ihre bestehenden On-Premise-Lösungen zugunsten von SaaS geändert.
c) Wenig Angebote für KMUs/ Mittelständler – Experience Management ist meist zugeschnitten auf bestimmte Unternehmensbereiche (Kundenservice, Call-Center, Sales etc.) oder ausgelegt für große Unternehmen. Ein Preis-Leistungs-Modell für KMUs und Mittelständler gibt es nur vereinzelt.
d) Marktzugang & Integration – Die Anknüpfungspunkte für Experience Management als Standalone-Lösung fehlten für viele Unternehmen. Da sie einen eigenen Software-Stack haben und die Integration u.U. aufwändig ist, wurde auf Experience Management verzichtet.
An vielen dieser Herausforderungen kann der SAP-Qualtrics-Deal möglicherweise etwas verändern. Sicherlich wird SAP nicht in Schritt 1 eine KMU-Variante herausbringen und schon gar nicht eine On-Premise Lösung vorstellen. Dennoch haben viele Unternehmen einen guten Einstiegspunkt und hierzulande einen deutlich näheren Anbieter für die Lösungen erhalten. Gerade im Vergleich zu den zahlreichen Konkurrenten von Qualtrics ist dies ein wichtiger Vorteil. Denn produktseitig auf das Thema Experience Management beschränkt, hat der Anbieter einige Mitbewerber, die mindestens gleichauf sind. Dazu zählen insbesondere Medallia und InMoment. Auch andere Angebote, die hierzulande bereits etwas stärker vertreten sind, wie beispielsweise die Digital Experience Management-Lösung von Aspect Software für Call-Center und Agenten oder die Web Content und Experience Management Plattform FirstSpirit von e-Spirit aus Deutschland sind als Standalone Lösung nicht so tief in Kernsysteme integriert, wie es Qualtrics bald sein könnte.
Notkauf vs. strategische Option – bekommt SAP seine Cloud-Strategie der letzten Tage?
Dass der Deal für SAP aus finanzieller Sicht ein großes Risiko darstellt, ist mittlerweile bereits Konsens. Die 8 Milliarden US-$ (vs. 5 Mrd. US-$ im möglichen IPO) sind weit mehr, als das Unternehmen gemessen an jeglichen Berechnungsgrundlagen auf Basis der wirtschaftlichen Lage wert gewesen wäre. Das erinnert die eingefleischten Marktbeobachter möglicherweise an den HP-Autonomy-Deal im Jahr 2011, der sich schnell als wirtschaftliches Fiasko entpuppte. In jedem Fall haben die Finanzmärkte direkt ein klares Zeichen gesetzt. An einem ohnehin schlechten Tag der Aktienmärkte stürzte der SAP-Kurs auf ein 8-Monats-Tief.
SAP SE Börsenkurs Xetra in EUR
SAP geht die Wette ein, dass dieser Deal einen fundamentalen Beitrag dazu leisten kann, das Cloud- und CRM-Geschäft auf eine neue Ebene zu bringen. Dazu braucht es die vollständige Integration von Qualtrics in das SAP-Portfolio. Standalone kann Qualtrics weiter für sich wachsen, bringt SAP aber nur ein Nischenprodukt mit Cloud-Zugang und netter Story.
Der Frontalangriff auf Salesforce im CRM- und Cloud-Markt wird sich noch hinziehen und braucht weitere Impulse wie diesen, um wirklich erfolgreich zu sein. Vielmehr legt Qualtrics den Grundstein für einen neuen Anlauf der Cloud-Strategie im Software-Business von SAP. Die Veränderung kommt stückweise und nicht vom ersten Tag an. Der feste Glaube von SAP, das CRM- und Cloud-Geschäft für sich nachhaltig zu revolutionieren, muss schnell in vorzeigbare Ergebnisse münden.