Wir brauchen keine Digitalen Leader! Ein Kommentar.

Expert Views

Am 26. Januar erschien im Crisp-Newsletter ein Beitrag über die gestiegenen Ansprüche an Führungskräfte. In diesem argumentiert der Autor, dass sich die Marktbedingungen durch die Digitalisierung verändert hätten. Beschäftigungen flexibler geworden seien, letztlich heute exponentiell mehr Kandidaten als potentielle Führungskräfte zur Verfügung stünden, da Herkunft und Wohlstand keine Rolle mehr spielten. Diese „neue Klasse der Führungspersönlichkeiten unterscheide sich damit fundamental von denen vergangener Generationen“. Der Digital Leader würde im Kern zum „Umsetzer einer interdisziplinären, unternehmensweiten Digitalisierungsbewegung.“. Es folgt eine Liste von essentiellen Eigenschaften, die eine Führungskraft haben solle. Zwei Drittel davon mit direktem Bezug zu IT- oder Digitalisierungstechnologien oder Skills wie Cloud, AI, IT-Innovationen.

Der Artikel schließt damit, dass ein Digital Leader vor allem in den Bereichen „Digital Mindset“ und „Digital Skills“ kompetent sein muss, um eine gute Führungskraft zu sein.

Ich stimme dem nicht zu!

Es gibt keine „Digital Leader“. Es gibt gute und es gibt schlechte Führungskräfte. Es gibt solche die „Digital“ verstehen und solche, die es nicht tun. Solche die humanistisch und ressourcenorientiert unterstützen und sich eher als Coach sehen. Und solche die hierarchisch führen, narzisstisch veranlagt sind und viele mehr. Aber die Kategorie „Digital“ geht am Kern dessen, was für Führungskräfte immer wichtiger wird, vorbei.

Das anerkannte Gallup Institute analysiert seit Jahren weltweit Mitarbeiterzufriedenheit und Führungskräfte. Nach dem aktuellen Report sind 13 Prozent aller Beschäftigten weltweit nicht engagiert in ihrem Job. Dreizehn! Dabei halten sich 97 Prozent aller Führungskraft für eine gute Führungskraft, aber fast 70 Prozent der Arbeitnehmer hatten schon mindestens einmal einen schlechten Vorgesetzten.

Liegt dies daran, dass die Führungskräfte dem Digitalen keine ausreichende Bedeutung beimessen („Mindset“) oder nicht über ausreichend Wissen („Skills“) verfügen? Sicher nicht! Die Anforderungen an Führungskräfte sind groß: Eine Führungskraft muss unbestechlich sein, Sicherheit geben in Zeiten der Unsicherheit, Strukturen schaffen und sinnstiftend führen. Sie ist gefordert dabei Compliancevorgaben einzuhalten und die noch immer vorhandenen Ungerechtigkeiten zwischen Geschlechtern und Kulturen zu überwinden. Sie muss dies tun während das Geschäftsmodell sich verändert oder bedroht ist und während Email und Collaborationtools rund um die Uhr bedient werden wollen.

Was ist dann entscheidend für eine Führungskraft, für einen „Leader im Zeitalter der Digitalisierung“?

Schaut man zu Google, immerhin beliebtes Vorzeigeunternehmen unserer Branche, so ist die Antwort klar. Ein umfangreiches internes Analyseprojekt („Aristotle“) zeigte, fünf Parameter als essentiell für Bestleistungen: (1) Psychologische Sicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Hierzu zählt unter anderem gefahrlos zwischenmenschliche Risiken eingehen zu können, und nicht be- oder verurteilt zu werden. (2) Zuverlässigkeit: Übernahme von Verantwortung und Einhalten von Zusagen. (3) Struktur und Übersichtlichkeit: Klarheit über die Ziele und Erwartungen an jeden Einzelnen und wie diese erfüllt werden können. (4) Sinn: Die Sinnhaftigkeit der Aufgabe verstehen und (5) Einfluss: Den Beitrag der eigenen Arbeit zum Erfolg des Unternehmens kennen.

Das Gallup Institut beschreibt es anders, und kommt doch zu einem identischen Fazit: „Führungskräfte vernachlässigen (…) häufig die sogenannten weichen Faktoren: (…)eine Kultur des Vertrauens und der Transparenz aufzubauen“. Und die London Business School schließlich identifiziert als die wichtigsten fünf Leadership Skills: Sinngebende Kommunikation, Integrität, Ausrichtung auf das Unternehmensziel, Kritisches Denken sowie das Vorleben der Unternehmenswerte.

Ich bin überzeugt, wir brauchen keine digitalen Führungskräfte, sondern gute Führungskräfte! Die dafür notwendigen Fähigkeiten und Einstellungen haben nichts mit dem Verständnis oder der Anwendung von Technologie zu tun. Sie sind zutiefst menschlich und dies wird umso bedeutender, je stärker der Wandel und die Digitalisierung wird.

Ein Leader muss heute das Digitale verstehen, aber in der Führung ein humanistisches Menschenbild vertreten und ressourcenorientiert mit den ihm anvertrauten Menschen arbeiten.