Nachdem sich der erste Teil der Expert View-Series „Vom Maschinenbauer zum Plattformbetreiber“ darum drehte, wie der Status Quo in der Maschinen- und Anlagenbau-Branche im Kontext der Digitalisierung aussieht, ging es im zweiten Teil um die Protokolle, Standards und Technologien, mit denen IoT-Plattformen aufgebaut werden sollten. Der dritte und letzte Teil befasst sich mit konkreten Anwendungsfällen für IoT-Plattform-Aktivitäten und daraus resultierenden Ideen für digitale Geschäftsmodelle und -prozesse im industriellen Umfeld und richtet sich insbesondere an IT-Leiter, IoT-Produktentwickler & Service-Verantwortliche.
Denn nahezu jedes Unternehmen sollte sich mittlerweile unbedingt folgende Frage stellen: „Brauche ich eine IoT-Plattform, um erfolgreich zu sein?“
Die Antwort lautet wie immer: „Kommt drauf an.“
Wenn mein Unternehmen daran interessiert ist, eine größere Marge durch Automatisierung nach innen zu erreichen, dann braucht es vor allem Industrie-4.0-Technologien und keine eigene Plattform – Azure, Mindsphere & Co reichen mit einer guten Projektumsetzung bei Prozessen an dieser Stelle aus.
Wenn mein Unternehmen aber mehr Umsatz generieren möchte, dann helfen neue digitale Produkte bzw. digitale Produkte und Prozesse, welche die traditionellen Produkte ergänzen. An diesem Punkt braucht es irgendwann zumindest ein Branchen-Add-On auf einer branchenunabhängigen Plattform oder gar eine eigens entwickelte Plattform.
Unter Umständen ergeben sich so zwei Strategien, eine für digitale Produkte und eine andere für digitale Optimierung/Automatisierung in der Fertigung. Bei größeren Unternehmen können darauf auch weitere unterschiedliche Plattform-Entscheidungen folgen.
Insbesondere die Automatisierung ist in immer komplexer werdenden Prozessketten und IT-Architekturen ein guter Ausgangspunkt für Machine Learning. Mensch und Maschine optimieren zusammen den Betrieb im Unternehmen. Mit den leicht zu nutzenden Cloud-basierten Machine-Learning-Angeboten (ModelCloud) wird es zunehmend einfacher, auch ohne große Expertise, Daten zu Empfehlungen oder Vorhersagen zu verarbeiten. Hinzu kommt, dass durch Edge Computing eine leistungsfähigere Datenübertragung und lokale Vorverarbeitung gewährleistet werden kann und zum Beispiel durch Cloud Native und Analytics-Anwendungen vollkommen neue Einsatzmöglichkeiten generiert werden können.
Use Cases in der Industrie
Aus der Vielfalt von technologischen Einsatzmöglichkeiten durch das IoT ergibt sich ein sehr breites Spektrum an Use Cases und Geltungsbereichen. Der Footprint deutscher Unternehmen im Kontext von IoT-Plattformen erstreckt sich häufig nicht nur über einen, sondern mehrere Use Cases. So fokussieren sich die IoT-Aktivitäten vieler Unternehmen primär auf den Service- und Produktionsbereich, sowie die Messung sämtlicher Prozessaktivitäten. In diesem Sinne gehören die Bereiche digitale Serviceprozesse und digitale Produktionsprozesse zu den heute am stärksten verfolgten Use Cases für das IoT. Viele der heutigen PoCs und projektierten Lösungen haben es bereits in den produktiven Einsatz geschafft. So sollen vornehmlich der Automatisierungsgrad in der Fertigung erhöht sowie die Wartungs- und Servicekosten in den nachgelagerten Prozessen reduziert werden, um die Rentabilität mit digitalen Geschäftsmodellen im Sinne einer Plattform zu erhöhen.
Zu diesen Anwendungsfällen gehört u. a. die Wartungsprozessoptimierung – Predictive Maintenance (vorausschauende Wartung) ist einer der relevantesten Use Cases im Maschinen- und Anlagenbau. Predictive Maintenance nutzt zum Beispiel Streaming-Daten von Sensoren und Geräten, um aktuelle Zustände schnell zu beurteilen, Warnsignale zu erkennen, Warnungen zu übermitteln und automatisch entsprechende Wartungsprozesse auszulösen.
Die Wartung wird zu einer dynamischen und schnellen Angelegenheit – Predictive Maintenance verspricht Kosteneinsparungen gegenüber routinemäßiger oder zeitbasierter vorbeugender Wartung, da Aufgaben nur dann ausgeführt werden, wenn sie nötig sind. Denn des Rätsels Lösung ist es, die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt zu erhalten. Auf diese Weise können Produktionsleiter erkennen, welche Maschinen oder Geräte gewartet werden müssen. Somit können Wartungsarbeiten besser vorhergesagt und geplant werden. Die Systeme müssen nicht vom Netz genommen werden und die Produktion kann weiterlaufen. Weitere potenzielle Vorteile sind eine längere Lebensdauer der Geräte, eine erhöhte Anlagensicherheit und weniger Unfälle mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt.
Besonders Maschinen- und Anlagenbauer, die den Service für ihre Anlagen nach der Auslieferung selbst erbringen, haben inzwischen fast alle Predictive-Maintenance-Angebote in ihrem Portfolio. Um die Daten aus der Produktion besser nutzen zu können, fehlt jedoch oftmals die rechtliche Grundlage oder das Vertrauen der Kunden. Nur die Anbieter, die ihr Kerngeschäft beispielsweise vom CAPEX-Kaufmodell in ein Full-Service-Mietmodell ändern, können heute schon effektiv Datenanalysen durchführen, weil ihnen die Maschinen im Feld weiterhin gehören.
Ein Maschinenbauer, der beispielsweise eine Predictive-Maintenance-Lösung nicht nur für neue Maschinen anbietet, sondern ein Retrofit für alle bestehenden Maschinen seiner Kunden – inklusive Maschinen anderer Hersteller –, schafft erheblichen Wert bei seinen Kunden.
Damit verändern sich nicht nur die Serviceprozesse für die Hersteller oder die unabhängigen Service-Dienstleister. Der Anbieter wird auch plötzlich als digitaler Integrator und nicht nur als Maschinenbauer wahrgenommen. Die Predictive-Maintenance-Lösungen können tatsächlich neue Umsatzströme für viele Hersteller generieren.
Asset Efficiency
Ein weiterer Use Case, der bei klassischen Fertigungsunternehmen Anwendung findet, ist die Messung der Ressourceneffizienz (Asset Efficiency). Mittels Analysen geht es vor allem um die Überwachung der Anlagen- und Produktionsstraßen innerhalb eines Unternehmens.
Zudem ermöglichen Asset-Efficiency-Analysen die einfache Ortung und Nachvollziehbarkeit wichtiger Anlagen, auch entlang der Lieferkette (z. B. Rohstoffe, Endprodukte und Behälter), um die Logistik zu optimieren, Lagerbestände zu halten, Qualitätsprobleme zu vermeiden und Diebstähle aufzudecken.
Eine Branche, die stark auf die Nachvollziehbarkeit und Überwachung von Ressourcen setzt, ist die Seeschifffahrt. Im großen Ganzen betrachtet helfen Sensoren dabei, den Standort eines Schiffes auf See zu verfolgen. Auf Mikroebene können sie den Status und die Temperatur einzelner Frachtcontainer anzeigen.
Ein Vorteil solcher Echtzeit-Messdaten besteht vor allem für Kühlcontainer. Die Fracht dieser Behälter muss bei konstanten Temperaturen gelagert werden, damit zum Beispiel verderbliche Waren frisch bleiben. Jeder Kühlcontainer muss mit Temperatursensoren, einer Verarbeitungseinheit und einem mobilen Sender ausgestattet sein. Wenn die Temperaturen von der optimalen Marke abweichen, kann die Besatzung benachrichtigt werden und mit den erforderlichen Reparaturen beginnen.
Digitaler Zwilling für thermische Entsorgungs- und Verwertungsprozesse
Was mit IoT-Plattformen wirklich möglich ist, zeigt u. a. das Projekt Thermal Twin 4.0 der Stadt Wien (CO2- und Ressourcen-Einsparungen mittels physikalischen- und datenorientierten Ansätzen). Im Thermal Twin 4.0 Projekt wird ein Gesamtmodell der Verbrennungsprozesse einer thermischen Abfallbehandlungsanlage durch eine Kombination aus physikalischen (Regelungs- und Verfahrenstechnik) und datengetriebenen (maschinelles Lernen) Ansätzen entwickelt.
Physikalische Zusammenhänge werden genutzt, um ein Modell der Prozesse innerhalb der Müllverbrennungsanlage zu entwickeln, welches das Verbrennungsverhalten der Eingangsströme simulieren kann.
Datenbasierte Ansätze – sowohl statistische als auch KI-Technologien – kommen ins Spiel, um die unvollständige Datenlage über die Eingangsströme auszugleichen.
Zusammen bilden sie einen digitalen Zwilling der Verbrennung als Ganzes, der dann für eine Optimierung der Energieeffizienz und Reduzierung der CO2-Emissionen der Anlage genutzt werden kann.Tonnen Abfall entsorgtTonnen gesammelter RestmüllTonnen über getrennte Sammlung gesammelt
Empfehlungen für die eigene IoT-Plattform-Strategie:
- Nicht zu früh über Plattformen reden. In der frühen Phase digitaler Produkte ist die Kreativität und das Ausloten der technischen Möglichkeiten wichtig. Das kann in verschiedenen Teams passieren und sollte nicht durch Technologie-Vorgaben behindert werden.
- IoT-Innovation stimulieren. Die ersten IoT-Projekte sollten nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern Ideen und Technologie-Erfahrungen austauschen. Der Chief Digital Officer (CDO) muss dafür das entsprechende Netzwerk zwischen IT-, Produkt-, & Service-Abteilungen schaffen.
- IoT-Business-Modelle moderieren. Die größte Herausforderung ist es, Technologie und Business-Modelle zusammen zu bringen. In vielen Fällen ermöglicht Technologie erst ein bestimmtes Business-Modell. So erreicht man beispielsweise durch Cloud-Native-Technologien teilweise so niedrige Betriebskosten, dass virale Go-To-Market-Modelle möglich werden. Hier muss der CDO moderieren.
- IoT-Use-Cases strukturieren. Ein digitales Produkt besteht aus verschiedenen Komponenten – ein digitales Portfolio eines Unternehmens hingegen aus verschiedenen digitalen Produkten. Nach den ersten Experimenten muss hierfür ein Portfoliomanagement etabliert werden, das dann auch die Anforderungen an eine Plattform strukturiert.
- Plattform-Unabhängigkeit und Plattform-Synergien balancieren. Sobald man ein ganzes Digital-Portfolio oder ein komplexes digitales Produkt produktiv einsetzen möchte, sollte man alle Anstrengungen auf einen Technology-Stack und ein Cloud-Backend konzentrieren. Unabhängig von der Auswahl eines Anbieters stellt sich die Frage, wie viel Vendor-Lock-In man sich leisten möchte. Hochwertige PaaS-Dienste in der Cloud und kommerziell lizenzierte Softwarekomponenten auf der Edge bringen anfangs Geschwindigkeit in die Projekte, können aber später viel Geld und eine lange Abhängigkeit von einem Anbieter bedeuten.
- Operations-Aspekte dem Volumen anpassen. Im Gegensatz zur alten Enterprise-IT ist es in der Cloud möglich, viele verschiedene ähnliche Dienste zu nutzen. Auf der Edge macht Konsolidierung auf weniger Technologie-Stacks immer noch Sinn. Hat man bei der Auswahl der Cloud-Dienste vornehmlich Open-Source Frameworks gewählt, kann man am Anfang „fully-managed“ PaaS-Dienste verwenden. Steigt das Volumen oder will man zu einer anderen Cloud-Infrastruktur wechseln, bietet es sich an, diese Dienste auf dem Container-Management Kubernetes selbst zu betreiben.
- Skills nutzen und aufbauen. Während IoT-Projekte in den meisten Unternehmen mit externer Hilfe starten, sollten zumindest die Teile, die das digitale Produkt differenzieren und eigenes geistiges Eigentum implementieren, sehr bald durch eigene Entwickler abgedeckt sein. Auch wenn Skills im Haus meist für einen bestimmten Enterprise-Technologie-Anbieter vorhanden sind, sollten CDOs und CIOs die Bereitschaft zum Lernen cloud-nativer Technologien nicht unterschätzen und fördern.
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