Über smarte Produktion hinaus – Wertschöpfung weiter denken

Expert Views

Nach der Produktion geht es weiter

Die Vernetzung der Produktionsflächen geht langsam, aber stetig voran. Aber was kommt danach? Wie geht es weiter, wenn die Produktion bis ins letzte Detail optimiert ist? Bis zu welchem Punkt ist der Kunde bereit dafür zu bezahlen? Der Fortschritt in der Produktionsoptimierung hat für den Endkunden einen abnehmenden Grenznutzen. Ab einem gewissen Grad schafft es für ihn keinen Mehrwert, wenn der Fokus ausschließlich auf der Optimierung der Produktion liegt, denn dieser Teil der Wertschöpfungskette hat wenn überhaupt nur wenige Berührungspunkte mit dem Endkunden.

Die Frage, die sich CDOs, Produkt- und Marketingverantwortliche also stellen müssen, lautet: Welche Fortschritte in der Digitalisierung bieten einen Nutzen für den Kunden? Schließlich ist es das Ziel, eine starke Kundenbindung zu erreichen und in einem Ökosystem Mehrwerte zu schaffen, um die Potenziale der Digitalisierung auszuschöpfen. Die Frage dabei ist, welche der Potenziale tatsächlich einen Mehrwert für den Endkunden bieten. Die Optimierung der Produktion schöpft bereits große Teile des Digitalisierungsbudgets aus mit vergleichsweise geringem Effekt. Vor allem dann, wenn die Produktionskapazitäten dank einer erfolgreichen Optimierung dieser nicht ausgeschöpft sind, lohnt sich ein Blick auf eine neue Dimension der Digitalisierung: die Digitalisierung des Produktlebenszyklus. Es entstehen neue Potenziale, die nachhaltig Mehrwert schaffen. Und so viel sei gesagt: Diese enden nicht im Warenausgangslager. Diagramm-Zusammenhang-des-Kundennutzens-mit-der-digitalen-Intensität

Wertschöpfung über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg

Die konventionelle Wertschöpfungskette eines Produkts endet mit dem Verkauf der Hardware. Der Kunde übernimmt das Produkt an der Schnittstelle und damit die Verantwortung für eine optimale Nutzung. In Garantie- oder Wartungsfällen wird bisher in der Regel der Kontakt zum Hersteller wieder aufgenommen, die restliche Zeit des Produktlebenszyklus ist dieser jedoch nicht mehr an der Wertschöpfung beteiligt. Jetzt ist es Zeit, weiter zu denken; der Produktlebenszyklus ist mit der Produktion nicht beendet und ebenso wenig ist es das Potenzial für den Hersteller, Wert zu schaffen.

Wie soll nun also die Wertschöpfung weitergehen, wenn das Produkt das Warenausgangslager verlassen hat? Nach Hardware kommt Software. Mit der Verlagerung der Wertschöpfung entwickeln sich Hardwareanbieter zu (Hard- und) Softwareanbietern. Auf diese Weise bieten sie ihren Kunden intelligente Lösungen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg. Daraus ergeben sich Nutzenpotenziale sowohl für den Hersteller als auch den Kunden:

Eine höhere Kundenorientierung ergibt sich durch ein besseres Management der Schnittstelle zwischen dem Kunden und dem Hersteller. Gleichzeitig entstehen neue Business Cases für den Hersteller.

  • Das Produkt bleibt upto-date und attraktiv: Updates werden direkt auf die Kundensoftware gespielt.
  • Die Kommunikation wird erleichtert: Fehler werden direkt zurückgemeldet.
  • Die Industrie wird serviceorientiert: Software ergänzt eindimensionale Produkte; Product-Service-Systems entstehen und generieren laufende Einkünfte.
  • Die Kundenbindung wird stärker: Die Beziehung endet nicht mit der Produktübergabe sie beginnt dort.
  • Wertschöpfung wird nachhaltiger: Hersteller werden zur Entwicklung langlebiger Hard- und Software motiviert.
  • Innovationen werden vorangetrieben: Eine Verbindung zum Kunden via Software ermöglicht fortwährende Kommunikation. Die offene Schnittstelle zum Kunden mit stetigem Verbesserungspotenzial begünstigt kundenseitige Innovation und eine frühere Time-to-Market.

Warum ist die Schwelle hinter der Produktion so hoch?

Die Orientierung am Produktlebenszyklus, der nach der Produktion erst seinen Höhepunkt erreicht, klingt vielversprechend. Es eröffnen sich neue Potenziale, die sowohl dem Kunden als auch dem Hersteller einen Nutzen bringen. Auf dem Weg zu einem Ecosystem ist genau das das Ziel. Warum also ist Servitization und eine Verlagerung der Wertschöpfung nach hinten entlang des Produktlebenszyklus für viele Unternehmen noch Zukunftsmusik? An den technologischen Möglichkeiten mangelt es nicht mehr.

Dennoch steht die Entwicklung neuer lebenszyklusorientierter Geschäftsmodelle in der Industrie noch am Anfang lediglich 15% der Maschinen- und Anlagenbauer beschäftigen sich bereits mit dem Thema.¹ Besonders im Maschinenbau-Sektor liegt der Fokus häufig auf der Optimierung der Produktion des Endprodukts anstatt auf seiner Nutzung. Industrie-Unternehmen stellen sich noch die Frage, ob Kunden bereit sind, für die Servitization ihrer Produkte zu bezahlen. CDOs, Marketing und Produktentwicklung stehen vor der Herausforderung, dass eine Digitalisierung des Produktlebenszyklus zusätzlicher Investitionen bedarf und der Nutzen zu Beginn langsamer, dafür aber nachhaltig ansteigt. Dagegen zeigt die Optimierung der Fertigung durch die Produktionsleitungen schnelle Effekte, die jedoch auch schnell abflachen. Problematisch ist, dass beide Abteilungen sich häufig aus dem gleichen Budget finanzieren. Kurzfristig gedachte Abstimmungen der beiden Bereiche Produktentwicklung und Produktionsoptimierung führen schließlich dazu, dass die Wertschöpfungsschnittstelle zum Kunden mit Übergabe der Hardware geschlossen wird. Wo Raum für Vernetzung mittels Software zum Kunden und automatischem Feedback wäre, bricht die Kommunikation ab.Schaubild-Aber: Wertschöpfung kann schon heute weitergedacht werden. Dazu ist es nicht notwendig, dass die Produktion bis ins letzte Detail optimiert ist. Tatsächlich notwendig sind die Möglichkeiten zur Datengenerierung und Vernetzung Hersteller -> Produkt -> Kunde. Servitization gelingt nur, wenn Hersteller Zugriff auf die Produktdaten haben. Sie sind Grundlage für Support-Aktivitäten, Auswertungen und Updates. Bisher gelingt jedoch nur ca. 27% der Unternehmen die stetige Datenerfassung, 9% setzen dafür IoT-Anwendungen ein und generieren Daten in Echtzeit.² An den technischen Voraussetzungen mangelt es jedoch nicht. IoT-Lösungen wie digitale Zwillinge ermöglichen die Datengenerierung und -nutzung. Auf diesem Weg werden Maschinenbauer zu Plattformbetreibern und Hardware-Produzenten zu Software-Anbietern.

BASF, Bosch und Co zeigen, was Wertschöpfung heute bedeutet

Dass Amazon Meister darin ist, sein Wertschöpfungsmodell zu erweitern und an den Bedürfnissen des Kunden auszurichten, ist allgemein bekannt. Amazon versteht es, eine Kundenbindung aufzubauen und diese nicht mit dem Verkauf eines Produkts wieder abzubrechen. Versanddienstleistungen, Cloud-Speicher, Dash Buttons, und Smart Home-Lösungen begleiten den Kunden in seinem Alltag. Wie sieht es aber in der Industrie aus? Welche Potenziale für lebenszyklusorientierte Wertschöpfung bietet die B2B-Branche?

Pflanzenschutz 4.0 Mit HEALTHY FIELDS schafft BASF digitalen Pflanzenschutz. Der Chemiekonzern fokussiert mit dem Geschäftsbereich BASF Agricultural Solutions den Landwirtschaftssektor für eine nachhaltige Gestaltung dieser. Unter anderem entwickeln und produzieren sie Pflanzensamen, Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsprodukte und digitale Lösungen. Mit xarvio HEALTHY FIELDS stellt BASF einen digitalen Service bereit, der Landwirte bei der nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Felder unterstützt. Der softwarebasierte Manager analysiert lokale Daten und gibt mit Hilfe dieser Applikationsempfehlungen.

Was bedeutet das für die lebenszyklusorientierte Wertschöpfung?
Die Verbindung zum Kunden endet bei BASF nicht mit dem Versand der Pflanzenschutzmittel. Sie begleiten den Kunden bei der Nutzung des Produktes über seinen Lebenszyklus hinweg. Das Resultat ist eine optimale Nutzung durch den Kunden und ein neues Geschäftsmodell für BASF.

Boschs selbst erklärtes Ziel ist die 100%ige Servitization.³ Zukünftig soll aus jedem Produkt ein Product-Service-System werden. Dr. Asenkerschbaumer, stellv. Vorsitzender der Geschäftsführung bei Bosch, bringt es bei der Bilanzpressekonferenz 2016 auf den Punkt:Damit werden die Dinge mehr als Dinge, sie bekommen einen Mehrfachnutzen. So wird Bosch vom Hardware-Anbieter dank der Bosch IoT-Cloud zum Hardware- und Cloud-Anbieter.

Für seine Kunden bietet Bosch mit dem Verkauf von Maschinen zum Beispiel an, den Energieverbrauch jeder Maschine zu tracken. Die Maschine wird an eine Energieplattform angeschlossen und der Kunde erhält die Messdaten übersichtlich aufbereitet. Dadurch konnten Boschs Kunden bereits bis zu 25% Energie einsparen.⁴ Daraus entsteht nicht nur ein Kostenvorteil, sondern auf diese Weise kann die Produktion Schritt für Schritt nachhaltiger werden.

Was bedeutet das für die lebenszyklusorientierte Wertschöpfung?
Das Ziel des Konzerns ist es nicht einfach nur, weitere Umsätze durch Services zu generieren; vielmehr entstehen Product-Service-Systems. Jeder Hardware-Verkauf soll potenziell zu einem Software-Verkauf führen.³ Erneut können wir an dieser Stelle festhalten: Der Kunde kann dank integrierter Services sein erworbenes Produkt optimal nutzen und für Bosch entsteht ein neues Geschäftsmodell.

GE Healthcare verkauft nicht nur Medizintechnik, sondern betrachtet sich darüber hinaus als Partner.⁵ Eigentlich ist GE Healthcare ein Produzent von Medizintechnik und pharmazeutischen Arzneimitteln. Darüber hinaus bieten sie aber Services an, dank derer eine optimale Nutzung ihrer Produkte gesichert werden kann. Zunächst können Kliniken und Krankenhäuser die Nutzungsdaten ihrer Geräte einsehen und überwachen. Dadurch kann der Kunde nicht nur technische Daten für Wartungszwecke tracken, sondern auch Entscheidungen über seine Personal- und Standortstruktur fällen. Unter Einsatz von Apps können Kunden von GE Healthcare außerdem die Nutzung ihrer Medizingeräte optimieren, wie zum Beispiel die richtige Pflege von Schallköpfen. Mit der MyGEHealthcare App können Service-Aktivitäten integriert, überwacht und organisiert werden.

Was bedeutet das für die lebenszyklusorientierte Wertschöpfung?
Anstatt die Medizintechnik zu produzieren und die weitere Wertschöpfung anderen Unternehmen zu überlassen, wird ein Bruch in der Wertschöpfungskette vermieden und das mit zusätzlichem Nutzen für Kunden und Hersteller: Auch hier können neue Einnahmequellen für den Hersteller und neue Nutzenpotenziale für den Kunden beobachtet werden.

Wie geht es weiter?

Die obigen Beispiele zeigen uns, dass es durchaus Potenziale in der Industrie für B2B-Modelle gibt. Kunden und dabei ist es egal, ob Geschäftskunden oder Konsumenten sind darauf bedacht, ihren Nutzen zu steigern und den Aufwand zu minimieren. Anbieter jeglicher Produkte oder Dienstleistungen müssen sich daher genau diese Frage stellen: Was kann ich tun, das meinem Kunden einen Mehrwert bietet? Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten in der Wertschöpfung und damit neue Bedürfnisse. Bedürfnisse, die es zu erfüllen gilt, wenn eine langfristige Kundenbindung das Ziel ist.

Wie geht es nun also weiter? Zunächst müssen Unternehmen entscheiden, wie sie ihre Investitionen auf die Digitalisierung des Lebenszyklus auf der einen und die Automatisierung der Produktion auf der anderen Seite verteilen möchten. Schließlich müssen sie sich darüber klar werden, welche Teile ihres Wertschöpfungsmodells sie anpassen und erweitern möchten. Wie sieht der Lebenszyklus des Produktportfolios aus? In welchen Phasen kann der Kunde bei der Nutzung oder Verwertung unterstützt werden? Dann folgt die Geschäftsmodell-Entwicklung.SchaubildEquipment-as-a-Service-Modelle sind dabei eine Möglichkeit, Wertschöpfung weiter zu denken als die Übergabe der Hardware vom Hersteller an den Kunden. Oder gibt es Potenziale für Apps, die die Nutzung der Produkte erleichtern und optimieren? Könnte ein digitaler Zwilling das Produkt über seinen Lebenszyklus hinweg begleiten? An welchen Schnittstellen bricht die Kundenbindung ab? Wie kann das verhindert werden? Es ist an der Zeit für CDOs, Marketing- und Produktverantwortliche in der Wertschöpfungskette einen Schritt nach vorne zu wagen und auf diesem Weg Mehrwert zu schaffen synergetisch für alle Beteiligten.¹ http://www.kmu-digital.eu/de/publikationen/tags/smart-factory/94-durch-industrie-4-0-moegliche-und-notwendige-neue-geschaeftsmodelle-im-maschinen-und-anlagenbau-bedrohung-oder-chance/file

² https://www.der-maschinenbau.de/newsarchiv/servitization/

³ https://www.bosch-presse.de/pressportal/de/de/die-vielfalt-von-bosch-wird-zum-strategischen-vorteil-ein-hightech-unternehmen-das-zugleich-service-unternehmen-ist-44801.html

https://www.automotiveworld.com/news-releases/bosch-connecting-manufacturing-benefits-brings-workers-companies/

https://www.gehealthcare.de/services/services