Expert Views

Published on Dec 19, 2022

IT-Trends 2023 – Der Grundstein für 2023 und danach

Maximilian Hille

Head of Digital Advisory

Das Technologiejahr 2022 neigt sich dem Ende zu und 2023 steht bevor. Cloudflight blickt auf die relevanten Trends und Treiber, die im kommenden Jahr die Agenda der Unternehmen und ihrer IT- und Digitalentscheider prägen werden.

Die vorjährigen Digitaltrends von Cloudflight waren geprägt von der wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Situation und mussten unter einem hohen Maß an Unsicherheit der kommenden Monate aufgestellt werden. Zwölf Monate später ist die Situation vielerorts eine andere, aber weitgehend nicht weniger volatil und unvorhersehbar. Denn wenngleich die Corona-Pandemie nicht mehr als ernster wirtschaftlicher Risikofaktor gilt, so prägen doch globalpolitische Ereignisse noch immer stark die Unternehmenssituation und Planungen für das kommende Jahr. Es ist daher erwartbar und verständlich, dass die wirtschaftlichen Aussichten eher konservativer ausfallen. Dies bedeutet, wir rechnen mit geringeren Konsum-Ausgaben und damit auch sehr kostensensitiven Digitalisierungsstrategien, was nicht unmittelbar mit Sparkursen und sinkenden Budgets gleichzusetzen ist.

Ein Indikator, der oft auch als Sinnbild für den hochgradig innovativen Technologiemarkt angesehen wurde, war dabei der Markt für Crypto-Währungen. Galt dies noch einst für einen innovativen Weg, schnell, aber hoch-riskant Vermögen zu multiplizieren, schauen die Crypto-Anleger gerade wohl wenig erfreut auf ihre Kontostände. Auch in Expertenkreisen scheiden sich die Geister, ob der Crypto-Markt gerade nur einen Schnupfen hat, mit „HODL“-Strategien aber langfristig noch höhere Gewinne erwartet werden, oder ob er sich schon endgültig verkühlt hat und mindestens einen vollständig neuen Anlauf braucht. Unsere Leser:innen dürfen selbst entscheiden, welche Variante mehr zur Normalität beiträgt.

„Back to Normal“ ist durchaus ein existenter Wunsch der Unternehmen, um sich gezielter auf ihr Kerngeschäft und dessen Digitalisierungsherausforderungen beziehungsweise entlang und unmittelbar neben ihrer Wertschöpfungskette konzentrieren zu können. Viele Unternehmen haben es zumindest geschafft, den Beweis anzutreten, mit digitalen Technologien und Software für dynamische Umweltgeschehen resilienter zu sein.

Nun dreht sich der Fokus der Unternehmen wieder etwas auf neue Erfolgsmaßstäbe. Dabei geraten vor allem die Chief Digital Officer (CDO) und Chief Information Officer (CIO) in den Fokus. Waren sie vielerorts die Retter und Helden der Pandemie, müssen sie nun endgültig messbare Ergebnisse innerhalb der Digitalisierung des Kerngeschäfts und der Diversifikation durch digitale Technologien liefern.

Die Digitalisierung muss vor allem ankommen und seine Wirkung nah an den Nutzern entfalten. Das bedeutet auch in dem kommenden Jahr für die IT- & Digitalentscheider den Spagat aus Transformation, Disruption, Innovation und Nachhaltigkeit zu meistern.

Bei dieser Aufgabe müssen Fachbereiche, Digital- und IT-Abteilungen endgültig enger zusammenarbeiten, um den Nutzer in den Vordergrund zu nehmen. Hierbei gilt es mit der notwendigen Risikobereitschaft neue Wege einzugehen und eine solide technische Basis zu schaffen und/oder auszubauen. Es wird schnell sichtbar werden, wo dies funktioniert und wo dies nur auf dem Papier die (nicht gelebte) Vorgabe ist.

Um dieser neuen Epoche ein Gesicht zu geben, sprechen viele bereits vom „Age of Intelligence“. Dies bedeutet im unmittelbaren Wortsinn vor allem die Durchdringung des gesamten Unternehmensalltags mit datenbasierten Technologien und künstlicher Intelligenz. Es kann jedoch auch weiter gefasst werden und beschreibt dann nicht nur den Einsatz von künstlicher Intelligenz und die aktive Nutzung von Daten für wirtschaftliche Zwecke. Es wird vielmehr auch den organisatorischen und technischen Weg dorthin darstellen und als Mantra und Handlungslinie in nahezu jeder Unternehmensentscheidung Einfluss nehmen.

Um ins Age of Intelligence zu kommen, müssen zunächst die Hausaufgaben bewältigt werden: Die existierenden technischen Schulden, die in den letzten Jahren bei der Digitalisierung um jeden Preis noch größer wurden, müssen zunächst abgebaut werden, und die Unternehmen wieder der Treiber und nicht die Getriebenen ihrer IT-Landschaft werden. Auch müssen die Weichen in den Unternehmen dafür gestellt werden, Geschäftsprozesse und -modelle nachhaltig und nah an ihrer eigentlichen Zielgruppe, der User, digitalisieren zu können.

 

1. Intelligent Data & Algorithms, Intelligent User & Customer Centricity; 2. Intelligent Processes & Value Chains, Intelligent Business Models, Intelligent Sustainability; 3. Intelligent Leadership, Intelligent Organisation, Intelligent Technologies

 

Auf dieser Basis sieht Cloudflight insbesondere die folgenden Trends & Themen als prägend für das Jahr 2023:

 

Strategie

  • Age of Intelligence: Das neue Mantra wird die Unternehmensentscheidungen maßgeblich prägen. Digitalisierung ist weder einzig technisch noch für einen einzelnen Use Case, sondern umfasst die Dynamik des gesamten Unternehmens. Gleichzeitig verändert sich die Nutzung von Daten in der Digitalisierung. Die Use Cases greifen gezielter auf Daten, Algorithmen und KI-Services zurück. Währenddessen werden auch umfangreichere Data-Use-Cases mit den zur Verfügung stehenden Mitteln realisiert. Big Data & AI at Scale bekommt eine völlig neue Bedeutung. Durch die steigende Lernkurve wächst auch die Erfolgsrate von KI-Projekten von den heute noch immer schwachen 20-25 Prozent.
  • Veränderte KPIs: Mit dem neuen Jahr werden auch die Messgrößen für Digitalisierung angepasst. Kostensensitivität und Kosteneffizienz spielen dabei eine wichtige Rolle. Digitalprojekte müssen noch vor dem Start ihren ROI aufzeigen können. Auch der Aufbau eigener Skills (s.u.) oder Sicherheitskonzepte werden zum Performance-Indikator von Technologie-Projekten.
  • Basis-Architektur-Aufbau vs. werttreibende Releases: Die „Cloud-Plattform“ für die neuen Business-Applikationen, den Datenverkehr und die Entwicklungsumgebungen zu schaffen, ist noch immer en vogue. In den meisten, insbesondere größeren Unternehmen ist diese Aufgabe als eigenständiger Workstream notwendig und richtig. In mittelständischen Unternehmen kann er auch sehr Use-Case-nah und parallel umgesetzt werden. Dennoch sollten alle Unternehmen einerseits sicherstellen, diese Plattform schnell aufzubauen und eher iterativ weiterzuentwickeln, anstatt zu lange an der technischen Basis zu stecken. Denn diejenigen Unternehmen, die auf dieser Plattform schon kritische digitale Services aufbauen und betreiben können, haben 2023 ihre Vorteile.
  • Technische Schulden I: Um im Hinblick auf Kosten, aber auch auf die Bewegungsfreiheit im Age of Intelligence, gerüstet zu sein, müssen sich die Unternehmen auch der Überwindung der technischen Schulden verschreiben. Budgets für den Umbau der Infrastrukturen und der Eliminierung der technischen Ineffizienzen und Insel-Architekturen sind kein direkter Werttreiber, aber beseitigen potenzielle Blocker für die Zukunft.

 

Organisationdesign

  • Insourcing & Mixed Teams: Für die langfristige Stabilität müssen die Unternehmen ihre eigenen Teams auf die neue Technologiegeneration ausbilden. Für Trainings und die vollständig organische Umsetzung wird dabei wenig Zeit sein. Daher müssen die Unternehmen vielmehr die agilen Methoden ihrer Dienstleister adaptieren und von Tag 1 in Mixed Teams arbeiten, um on-the-Job zu lernen und später erfolgreich übernehmen und insourcen zu können. Dies geht auf Kosten der Umsetzungsgeschwindigkeit, wird aber nicht vermeidbar sein. Auch die Dienstleister stellen sich auf Mixed-Teams-Modelle und einen höheren Gradienten von Senior Experts und Young Professionals
  • Operations Gap: Viele digitale Services sind noch im Pilotstadium oder in der Entwicklung. Doch irgendwann müssen diese auch betrieben werden. Dies bedeutet nicht selten, ein Team von Cloud-Infrastruktur- und Applikationsexperten 24/7 auf Abruf zu haben. Diese Kapazitäten müssen vorgehalten werden – entweder mit professionellen Automatisierungslogiken und Self-Healing-Funktionen oder auch durch entsprechend geschulte Teams, die diesen Aufwand auf sich nehmen. Bis dato sind diese häufig nur limitiert vorhanden und gerüstet.
  • Neue Bewegung im Talentmarkt: Viele Startups haben in den vergangenen Monaten ihre Mitarbeiter:innen entlassen müssen. Risikokapital wurde knapper und die letzte Crypto-Blase ist ordentlich geplatzt. Das ist einerseits eine Chance für Unternehmen und Mittelständler, andererseits aber auch eine Herausforderung. Denn Mitarbeiter:innen wollen auch „Fans“ ihrer Unternehmen sein, dazu brauchen sie aber auch Argumente, sie zu lieben und ihre Wünsche erhört zu bekommen.
  • Technische Schulden II: Auch organisatorisch fallen technische Schulden an. Denn einerseits entstehen sie, wenn Fachbereiche noch immer ihre eigenen Wege gehen und inkompatible Insellösungen aufbauen, die im weiteren Verlauf schwerer zu integrieren und harmonisieren sind. Hier gilt es einen neuen Standard zu entwickeln und zu modernisieren wo nötig und möglich. Außerdem müssen teilweise auch Teams darauf vorbereitet werden, ihre geliebten tradierten Systeme loszulassen und zum neuen Standard überzugehen.

 

Culture & Leadership

  • CIO & CDO at the Crossroads: Lange galt das Duo aus CIO & CDO als Heilsbringer und Hoffnungsträger der Unternehmen in der Digitalisierung. Und einigen ist dies auch wirklich erfolgreich gelungen. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass sowohl die Synergie aus beiden Rollen als auch der Aufbau echter digitaler Geschäftsmodelle und -prozesse im B2B- und B2C-Umfeld funktionieren. Doch vielerorts sind die CDOs noch immer die Innovationsgeister mit zu wenig Realitätsbezug und Durchschlagskraft und CIOs die Verwalter der Workplaces und Infrastruktur. Das wird 2023 enden, denn sie müssen ihre Erfolge auf die große Bühne bringen – das liegt nicht nur allein an ihnen, aber es wird an ihnen festgemacht.
  • Autonomie vs. Kontrolle: Um diese notwendigen Erfolge einzufahren, werden sie unweigerlich Hilfe benötigen. Das Arbeits- und Wirkungsumfeld der Teams ist dabei besonders wichtig. Viele Unternehmen scheitern daran, dass sie bis zuletzt die Kontrolle in allen Bereichen benötigen – ob über die Teams oder ihre Provider. Ein vollständiger Kontrollverlust ist selbstverständlich nicht das Ziel. Und gerade zu Beginn können klare Linien auch dabei helfen, noch unerfahrenen Teams den Weg zu weisen. Doch mit steigendem Anspruch an die Digitalisierungserfolge müssen auch ihre Macher, die Teams und Provider, mehr Gestaltungsfreiheiten bekommen, um diese durchzusetzen – mit klaren Grenzen und Leitplanken.
  • Agilität für ROI: Noch immer gelingt es vielen Unternehmen nicht, die agilen Arbeitsmethoden wirklich umzusetzen. Entweder endet es im Chaos, oder es wird oft zu stoisch an der Scrum-Methode festgehalten. Doch Agilität bedeutet vor allem hohe Reaktionsfähigkeit und schnelle Ergebnisse zu liefern. Das kann insbesondere dann, wenn sich die Projekte schnell finanziell selbst tragen und amortisieren sollen, vom Vorteil sein. Wenn regelmäßige iterative Releases auf einer soliden MVP-Basis erfolgen, können die Services und Apps schon frühzeitig ihre Wirkung entfalten.
  • Technische Schulden III: Noch immer sind die Teams und Leader damit beschäftigt, technische Schulden abzubauen – oder wenigstens darauf zu achten, nicht neue aufzubauen. Das belastet, denn es schmälert den Innovationsgeist und die Kreativität. Daher sollten sie umso schneller und konsequenter ihre technischen Schulden identifizieren und überwinden.

 

Technologie

  • Technische Schuldenbremse (Technische Schulden IV): Schlussendlich ist die Technologie im engeren Sinne das größte Problem der technischen Schulden. Die IT der zwei Welten wurde endgültig als fehlleitend entlarvt. Zwar wird und muss es traditionelle IT-Systeme mit anderen Anforderungen und Abläufen geben, die den Kern des Unternehmensalltags prägen werden, doch müssen auch sie darauf vorbereitet werden, in einer neuen, daten- und Cloud-getriebenen Welt zu existieren.
  • Cloud-Paradigmenwechsel: Gerade die Cloud-Infrastruktur war zwar strategisch der wichtigste Rahmen mit ausgerufenen Mottos à la „Cloud-First“ / „Cloud-only“, in der Praxis aber selten so konsequent umgesetzt. Doch je länger die ersten Pflänzchen und Applikationen auf der Public Cloud existieren, desto mehr fallen die Ressentiments und Unsicherheiten. So wird die Public Cloud in vielen Unternehmen zur wirklichen Datacenter-Alternative für App- und Datenplattformen. Der scheinbar unumstößliche Anti-Lock-In-Kurs wird ersetzt durch einen bewussten und gezielten Umgang mit Managed Services unter Berücksichtigung des Cost of Change der einzelnen Technologieentscheidungen.
  • New Security & Zero Trust at Scale: Ein ganz wichtiger Faktor im Jahr 2023 wird auch das Thema Cybersicherheit sein. Noch immer ist dies ein Spagat zwischen technischen und organisatorischen Stellschrauben. Die Public Cloud löst den technischen Teil mit unmittelbar integrierbaren Tools meistens besser als das eigene Stack. Die Unternehmen müssen lernen, auf diese zu vertrauen und gleichzeitig ihre Mitarbeiter und Organisationen auf Security by Design nicht nur vorzubereiten, sondern dies noch engmaschiger kontrollieren und den Rahmen schaffen.
  • Auf dem Weg zu Generative AI: Mit Blick in die Zukunft reift auch die künstliche Intelligenz von Tag zu Tag. Generative AI, oder zumindest vergleichbare Anwendungsfälle, die mit autonomen Systemen arbeiten, die sich selbst weiterentwickeln und erweitern, sind heute schon technisch teilweise möglich. Es dauert gewiss noch Jahre, dies auch spürbar in der Breite einzusetzen, doch Unternehmen sollten erste Gehversuche starten. Gleichzeitig kommt mit der EU-weiten KI-Verordnung auch ein wichtiges strukturelles Update, das im Aufbau, Umgang und Betrieb derlei Lösungen viel Aufmerksamkeit und hoffentlich auch Hilfe bedeuten wird.

 

 

Cloudflight steht für höchste Ansprüche in der Umsetzung individueller Software im Web-, Mobile-, Cloud-, KI-, HMI-, Embedded- und E-Commerce-Umfeld, sowie für agile und innovative Teams. Aus diesem Grund sind auch unsere Technologietrends aus den Erfahrungen der Projekte, den Eindrücken und dem Feedback unserer Auftraggeber und Community-Peers sowie Einschätzungen unserer Research-Expert:innen entstanden.

 

An den Technologietrends 2023 haben mitgewirkt:

  • Franz Hauer
  • Sebastian Hidalgo
  • Maximilian Hille
  • Daniel Klemm
  • Johannes Matiasch
  • Jan Mentel
  • Andrej Nikonov
  • Anna-Lena Schwalm