- Was kann die Autoindustrie von der Software- & Technologieindustrie lernen?
- Warum ist Satya Nadella der Liebling der Automobilhersteller?
- Worauf sollten die deutschen Autohersteller jetzt achten?
Was war das für eine Woche für die Automobilindustrie in Europa! Am letzten Dienstag fand Daimler-Chef Dieter Zetsche im Gespräch mit Microsoft-Chef Satya Nadella auf dem Mobile World Congress in Barcelona selten deutliche Worten zur Lage des Konzerns und der Branche. Am Mittwoch war Nadella schon wieder in Berlin um im VW Digital Lab mit VW Chef Herbert Diess zum Fortschritt der seit einem Jahr angekündigten VW Automotive Cloud zu berichten. Während kaum 10 Minuten entfernt ebenfalls in Berlin AWS Technologie-Chef Werner Vogels vor mehr als 5000 Anhängern der Amazon Web Services sprach, setzen die Autobauer auf die Microsoft Cloud. Crisp Research war auf beiden Events in Berlin vor Ort und hat analysiert warum das so ist. Am Donnerstag überraschte wieder Daimlers CEO Zetsche mit einer Kooperation für Mobilitätsdienste mit dem Erzrivalen BMW. Gleichzeitig machte Tesla die günstige Variante des Model 3 für 35.000 US$ in USA online bestellbar – und das ganz ohne eine Partnerschaft mit einem Software-Giganten.
Schon im August 2011 hat der erfolgreiche Gründer und Investor Marc Andreessen im Wall Street Journal seinen bekannten Artikel “Why Software Is Eating The World” veröffentlicht, der auch hier annotiert lesbar ist. Andreessen beschreibt wie eine Branche nach der anderen durch Software-basierte Technologieunternehmen verändert und dominiert wird, bis die traditionellen Marktführer pleite sind. Kodak, Nokia, unzählige lokale Buchhändler, Retail-Ketten, die traditionellen Musik-Labels, Zeitungen und Fernsehsender wurden abgelöst von Unternehmen mit weniger lokaler Präsenz, massivem Softwareeinsatz und dem Internet um eine neues Nutzererlebnis zu ermöglichen. Eine ganze Generation von Menschen kann sich schon nicht mehr daran erinnern, dass man Musik auf einem Medium kaufen musste oder man einen Spielfilm im Fernsehen gleichzeitig mit Millionen anderen um 20:15 anschaute. In einigen Fällen haben die neuen Firmen die traurigen Reste der Traditionsunternehmen aufgekauft. Steht die Automobilindustrie nach dem Diesel-Skandal jetzt vor dem Software-Kollaps? Ist das Verhalten von Daimler, BMW und VW gar panischer Aktionismus? Oder kauft Elon Musk mit seinen selbstfahrenden Computern namens Tesla irgendwann ein Traditionsunternehmen Daimler oder BMW auf?
Wurden in den Branchen die eine massive digitale Disruption erleben mussten, wirklich immer die alten Player vernichtet, wie es Andressen vor 8 Jahren beschrieben hat? Wir bei Crisp Research glauben, dass das nicht immer so ist. Es hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab:
- Hat eine Branchen mehrere Disruptions-Wellen? Wenn ja und wenn ein Traditionsunternehmen die eine Welle “überlebt” hat es die Chance bei der nächsten wieder ein Marktführer zu werden.
- Erkennen Marktführer frühzeitig eine existentielle Bedrohung? Die Fähigkeit eine Technologie-Welle wahrzunehmen und das Unternehmen ggf. massiv umzubauen, wird oft erst wahrgenommen, wenn gleichzeitig die Erkenntnis einer existentiellen Bedrohung eintritt.
Viele Technologie-Veränderungen, wie der Wechsel von analoger auf digitale Fotografie war so schnell und fundamental, dass es für Firmen wie Kodak keine Rettung mehr gab. Steht die Autoindustrie auch vor so einer Naturkatastrophe? Nein! Die Innovation in der Autowelt lief schon in den letzten 25 Jahren kontinuierlich und oft als Co-Innovation mit wichtigen Lieferanten. Das beste Beispiel ist die Diesel-Technologie selbst, die vor ihrem betrügerischen Absturz kontinuierlich perfektioniert wurde und für viele Liebhaber drehmomentstarker Motoren zum Entscheidungskriterium beim Autokauf wurde. Genauso wird der Wechsel der Antriebstechnik von Verbrennung auf Strom – und besonders der Aufbau der Schnellladenetze – viele Jahre brauchen. Obwohl die deutschen Autobauer die erste Welle der elektrischen Fahrzeuge um fast 10 Jahre verschlafen haben, könnte die Überlagerung mit anderen Wellen eine Chance sein. Wie VW Chef Herbert Diess es am Mittwoch treffend sagte: “Wir machen die Transformation zum Elektroauto und dann wird VW selbst eine Software getriebene Autofirma. … Bis 2025 werden alle VWs als Connected-Cars verkauft.” Nur wenn VW selbst seine Kompetenz in Software aufbaut, können die parallel entstehenden Disruptions-Wellen positiv genutzt werden. Christian Senger, VWs neuer Head of Digital Car & Services, hat dies am Mittwoch auch hervorgehoben: Es sei nicht mehr genug Software embedded in einem Teil eines Zulieferers zu kaufen und ins Fahrzeug zu integrieren. Heute hat ein Fahrzeug mit 100.000 Zeilen Code schon fast 10mal so viel Software wie ein Smartphone.
Crisp Research sieht zudem viel stärker das Fahrzeug selbst als Software Ökosystem Plattform. Während VW beispielsweise noch mit seiner Tochter Carmeq und 650 Entwicklern am VW.OS baut ist Tesla mit dem Ubuntu-Linux basierten Betriebssystem auf NVIDA Hardware im Fahrzeug seit Jahren produktiv. Auch bei den Schnell-Ladern ist die kalifornische Firma selbst in Europa ca. 5 Jahre voraus. Leider ist VW beim Erkennen der möglicherweise existentiellen Bedrohung mit seinen Statements diese Woche sogar deutlich hinter Daimler.
Daimler-Chef Dieter Zetsche und Microsoft-Chef Satya Nadella auf dem Mobile World Congress in Barcelona, Foto Manager Magazin
Nur Daimlers Dieter Zetsche bringt es im Gespräch mit Satya Nadella so auf den Punkt: “Ohne Wandel sind wir erledigt”. Und er braucht die deutlichen Worte, denn ein Unternehmen dem es so gut geht, wird träge und leichtsinnig. Das war der Tod von Kodak, nicht die digitale Fotografie selbst, sondern die guten Gewinne der alten Technologie. Und das ist genau der Punkt warum die deutschen Autohersteller lieber mit Satya Nadella kuscheln als mit Werner Vogels. Microsoft hat genau so eine Disruptions-Welle in seiner eigenen Industrie von alten Software-Plattformen zu Cloud Services überstanden. Satya Nadella ist die Ikone die den Wandel Microsofts verkörpert, nach dem sich Zetsche und Diess in ihren Unternehmen sehnen. Wäre Steve Balmer Chef von Microsoft geblieben, hätten der ehemalige Monopolist das Cloud Business weiter verschlafen und Amazon-Gründer Jeff Bezos hätte womöglich die Reste in Redmond aufgekauft – wie 2013 die Washington Post. Heute, fast genau 5 Jahre nachdem Nadella Microsoft übernommen hatte, ist seine Cloud-Plattform Microsoft Azure die größte und ebenbürtige Konkurrenz der damals weit überlegenen Amazon Web Services. Diese Transformation wollen und brauchen die Autobauer um ihr “Innovator’s Dilemma” zu überwinden! Das erklärt auch warum VW Microsoft nicht wie viele anderen Lieferanten nach Wolfsburg kommen lässt, sondern 300 neue Mitarbeiter für den Aufbau der VW Automotive Cloud direkt vors Microsoft Headquarter in Redmond, Seattle in Stellung bringt.
Microsoft-Chef Satya Nadella zu Gast bei VW-Chef Herbert Diess im VW Digital Lab, Foto Crisp Research
Microsoft ist strategisch also im klaren Vorteil bei den europäischen Autobauern gegenüber Amazon und Google, deren Plattformen technologisch für neue Cloud-Native Anwendungen gleichwertig oder besser sind. Wird VWs Automotive Cloud oder die ähnliche Kooperation zwischen Daimler und Microsoft automatisch zum Erfolg? Nein!
Technologiepartnerschaften müssen solide aufgesetzt und moderiert werden, sonst ist schon nach 5 Jahren die Freundschaft aus und wenig später kann es sogar in eine Konkurrenz-situation umschlagen. Nadella nannte am Mittwoch selbst die Partnerschaft zwischen Microsoft und SAP als ein Beispiel einer Technologiepartnerschaft. Zweifellos hat Microsoft der SAP vor 15 Jahren geholfen in den begehrten Mittelstand mit günstigeren Windows-Servern zu kommen. Im Gegenzug hat SAP Microsoft geholfen wichtige Marktanteile im Datenbankmarkt gegen den gemeinsamen Konkurrent Oracle zu gewinnen. Heute, 15 Jahre später, ist der (On-Premise) Server-Markt kollabiert und Datenbanklizenzen kauft auch kaum noch einer. So schnell könnte es mit den Verbrennungs-Fahrzeugen in Wachstumsmärkten wie China auch zu Ende gehen. Zum Glück fokussiert sich Microsoft inzwischen stark auf Infrastruktur Services in Azure und kann damit leben, dass SAP Hana darauf zwar mit den eigenen Datenbanken konkurriert, aber gute Infrastruktur-Umsätze bringt. Die Freundschaft zwischen Microsoft und SAP funktioniert also nach 20 Jahren immer noch wegen wirtschaftlichen Faktoren. Die technologischen Kooperationen wie gemeinsame User-Interfaces für SAP ByDesign oder die tiefe Integration in die Office-Welt unter dem damaligen Namen SAP-Microsoft Duett waren schwergewichtige Millionen-Flops und haben mehr Schaden bei SAP-Partnern als irgendwelche Wettbewerbsvorteile eingebracht.
Was sollte die Autoindustrie aus diesen Erfahrungen von Technologiepartnerschaften der Softwareindustrie lernen?
- Partnerschaften sollten gut strukturiert und transparent sein.
“VW and Microsoft develop first lighthouse projects” ist ein halbes Jahr nach Beginn der Partnerschaft mehr als sehr dünn. Natürlich will man keine Wettbewerbsvorteile durch frühzeitige Ankündigungen verlieren, aber so langsam hätten Analysten von den Autobauern schon so etwas wie einen Bebauungsplan erwartet. Was ist in der Automotive Cloud, was im VW.OS, was bei anderen Softwarepartnern wie Bosch? - Partnerschaften müssen Geschwindigkeit und Plattformen bringen.
Während in Frankfurt gerade die erste Teststrecke mit einer Lade-Oberleitung für Busse entsteht hat die chinesische Millionenmetropole Shenzhen bereits seit einem Jahr den Diesel-Busbetrieb eingestellt und ausschließlich 16.000 e-Busse im Einsatz. Da reicht es nicht über den neuen VW ID zu sprechen, der 2020 wohl erst in China auf den Markt kommt. Wo bleibt das oft gelobte Baukastensystem der Volkswagen Gruppe und wo die starke Nutzfahrzeugsparte von Daimler. Eine Software muss schnell und überall passen. - Partnerschaften leben im Ökosystem der Branche.
VWs Digital Car Chef Christian Senger und sein Counterpart von Microsoft, Tara Prakriya, haben keineswegs einen abgestimmten Eindruck hinterlassen. Während Microsoft möglichst alle Azure Dienste inklusive Azure Maps positionieren möchte, hat die VW Gruppe ja schon Allianzen und Joint Ventures, wie zum Beispiel die HereWeGo, die ein klare Konkurrenz zur Microsoft Karte ist und zudem durch die Offlinefähigkeit deutlich überlegen ist. Ein Dritter der location-based Apps in die Fahrzeuge bringen möchte, wie möglicherweise der Anbieter von Ladeinfrastruktur Ionity, hat jetzt keine Ahnung ob er dies auf Azure Maps oder der HereWeGo-Cloud entwickeln soll. Sengers Aussage verunsichert eher das Ökosystem von Bosch bis Ionity anstelle es auf eine Plattform einzuschwören. - Intellectual Properties sollten modular aufgebaut sein.
Ein großes Problem bei Technologiepartnerschaften ist die Modularisierung von IP. Schnell sind Sachen gemeinsam gebaut, aber was, wenn Microsoft gemeinsame Entwicklungen aus der VW Cloud an Daimler lizenzieren will. Geld und schlimmstenfalls auch Haftung ist ein kritischer Punkt. Hier brauchen die Autobauer dringend Hilfe. - Alle schweigen zur Langzeit-Strategie.
Besonders Daten für das autonome Fahren werden schnell sehr, sehr groß. Denn umso mehr Daten zum Lernen da sind umso besser funktionieren einfach die autonomen Machine Learning Systeme. Autobauer kommen schon bald nach den ersten autonomen Serienfahrzeugen in den Exabyte Bereich (1000 Petabyte). Spätestens bis dahin, oder ad-hoc falls die EU sich doch traut eine Internet-Steuer auf amerikanische Unternehmen zu erheben, muss so viel Cloud Provider Know-How im Unternehmen sein, dass man diese Volumen nicht mehr von Microsoft kaufen muss. Es muss dann zur Fertigungstiefe der “Software driven Car Company” gehören. Branchenexperten wie wir bei Crisp Research sowie Finanzanalysten erwarten deshalb spätestens mit dem Serienstart der Automotive Cloud und seiner Fahrzeuge Aussagen zur Wertschöpfungsverteilung. - Technologie-Allianzen können die Politik beeinflussen.
In Shenzhen werden zwei Drittel der e-Busse durch den Staat subventioniert. In Norwegen bekommen Endkunden e-Autos und den Ladestrom steuerfrei. Folglich sind 27 Prozent der Neuzulassungen dort reine Elektroautos. Audi, VW und Daimler haben die frühe Installation eines eigenen Ladenetzes verpasst. Jetzt bleibt ihnen nur noch sich auf kommerzielle Schnell-Ladenetze wie Ionity zu verlassen. Leider versteht die deutsche Politik unter Energiewende eher die finanzielle Ausstiegs-Unterstützung aus der Kohle, als die Stimulation einer brauchbaren öffentlichen Ladeinfrastruktur. Ionity wächst deshalb viel zu langsam und es gibt keine Strom Roaming Tarife über alle Netze. Die Autobauer und Microsoft müssen ihr Lobby-Gewicht hier auf allen Ebenen zusammenbringen. Sonst wird es den neuen VW ID zu lange nur in China geben.
Letztlich hat Daimler Chef Zetsche die richtigen Worte gefunden: “Wir wissen, dass diese Branche in zehn Jahren völlig anders sein wird.” Daimler werde es zum Teil mit den aktuellen Wettbewerbern zu tun haben. “Und wir werden eine Reihe völlig neuer Wettbewerber haben. Wenn wir weiterhin nur das tun, was wir so gut gemacht haben, sind wir erledigt”, sagte er.
Vielleicht drängt ihn sein visionäres Verständnis zu dieser Klarheit, vielleicht die sinkenden Gewinne zum Ende seiner Karriere. Vielleicht aber auch eine klare Ansage zum Umbau von Daimlers größtem Einzelaktionär Li Shufu (9,69%), dem Gründer des chinesischen Autokonzerns Geely, der inzwischen Volvo und andere Automarken vollständig übernommen hat? Bleibt abzuwarten, ob ab Mai 2019 Zetsche-Nachfolger Ola Källenius den Kurs hält und so riskante, aber gleichzeitig vorausschauende Kooperationen wie die Carsharing Partnerschaft mit Erzrivale BMW auf den Markt bringt.
Sicher scheint uns bei Crisp Research zumindest, dass nach der Digitalisierung der Autobranche weniger eigenständige Marken übrigbleiben.