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Published on Sep 07, 2018

Robotic Process Automation (RPA) – Nur ein teures Pflaster oder Brückentechnologie ins digitale Zeitalter?

Darf man den Medien glauben schenken, besteht Arbeit morgen nur noch darin, den intelligenten Roboter zu starten bzw. ihn ab und an zu warten. Die Technik erledigt den Rest wie von Geisterhand mittels Künstlicher Intelligenz (KI). Wir sehen die goldene Zukunft schon in Reichweite, in der die Maschinen unsere Arbeit besser, schneller und zuverlässiger übernehmen und wir uns den angenehmen Dingen des Lebens widmen können. Mit KI ausgestattete Maschinen können nicht nur sehen, sprechen und hören, sondern sollen auch noch den Sinn verstehen, Ursachen erkennen und selbst lernen können. Während letztere Themen in Form von “Entscheidungsmaschinen” sogar hier in Deutschland von der Frankfurter Firma arago entwickelt werden, ist das Verständnis von tieferem Sinn durch Algorithmen und Software noch Zukunftsmusik. Auch wenn weitere Themen, wie die Verarbeitung von Sprache, die Erkennung und Kategorisierung von Bildinhalten und sogar das Bewegen eines Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen schon relativ weit fortgeschritten sind, machen mit KI ausgestattete Maschinen erstmal nur das das, was man für Sie vorgesehen hat. Dass der Autopilot aus dem Flugzeug steigt, um eine Terminatoren-Fabrik zu bauen, ist tatsächlich noch auf lange Sicht Science-Fiction.

Was ist Robotic Process Automation (RPA)?

Die Software-Roboter der RPA-Plattformen werden oft wegen der Namens-Ähnlichkeit mit Chatbots verwechselt, was durchaus nachvollziehbar ist. Technisch gesehen tut man ihnen damit aber ziemlich unrecht. Während Chatbots auch gerne in Form von persönlichen Sprachassistenten wie SIRI, Alexa oder Google Home per Schwätzchen (Chat) versuchen, Befehle zu entlocken, können die Software-Roboter menschliche Aktionen auf einem Computer-Desktop nachahmen, also genau wie ein Mensch, Maus und Tastaturaktionen ausführen, die vorher entsprechend programmiert – oder besser – konfiguriert wurden. Viele Tools verfügen über einen grafischen Prozess-Editor und erlauben manuelle Prozesse relativ einfach abzubilden. Die Technologie unterstützt dabei unterschiedliche Oberflächen wie Windows, Web bis hin zu Host-Systemen und ist mittlerweile schon sehr ausgereift. Dabei versprechen die Hersteller Einsparungen von bis zu 80% und Amortisation der Lösungen innerhalb von 6 bis 9 Monaten – Zahlen, die fast zu schön sind um wahr zu sein.

Was kann man damit machen?

Wenn man sich heute in den Büros von Firmen aus verschiedenen Branchen umsieht, erfordern viele softwaregestützte Prozesse eine ganze Menge an Handarbeit. “Öffne Applikation A“, “Suche Datensatz des Kunden abc“, “Kopiere die Daten aus den Feldern 1, 2, und 3 in eine Email und sende diese Mail an die Mailbox xyz“. Dort wartet schon der Kollege auf die Mail. “Kopiere die Daten aus der Mail” und “Öffne Applikation B“, “Suche Datensatz des Kunden abc” und “Füge die Daten aus der Mail in die entsprechenden Felder ein“. Was nach einer Szene aus Zeiten des Kultfilms “Office Space” klingt, ist heute den diversen Wellen an Optimierung und Automatisierung durch Softwarelösungen zum Trotz in vielen Bereichen durchaus üblich und bestimmt die Tätigkeiten vieler Office-Worker. Klickstrecken von mehreren Minuten, um eine Vertragsoption in allen relevanten Systemen zu ändern, sind nicht unüblich. Das ist dann natürlich keine optimale Ergänzung zum neuen Customer Service Chatbot, der gerade nach kurzem Dialog den Auftrag “Ändere Vertragsoption Datenvolumen von L zu XL” per Webseite entgegengenommen hat.

Ursache dafür sind oft fehlende Schnittstellen zwischen Backend-Systemen, die die IT-Abteilungen aus welchen Gründen auch immer nicht liefern konnte. Hier setzt Robotic Process Automation an – eine Software, die am Frontend genau die gleichen Arbeitsschritte ausführt, wie der menschliche Kollege. Das ganze allerdings ohne Mittagspause oder Feierabend, sofern es die Performance hergibt auch deutlich schneller als der Mensch. Am besten 7 x 24h. Ausnahmen wie “Datensatz nicht gefunden” werden fein säuberlich protokolliert, so das der Kollege Mensch diese dann manuell nachbearbeiten kann. Anstelle von 300 Vorgängen am Tag hat dieser dann vielleicht noch 10, die als Ausnahmen vom Roboter nicht bearbeitet werden konnten. Die gewonnene Zeit kann dann in ausführlichere und entspannte Kundengespräche oder sogar zum Nachdenken über Prozess-Verbesserungen investiert werden. Das Potenzial für die RPA über eine Reihe von Branchen hinweg ist daher gigantisch.

So wird RPA heute bereits bei Branchengrößen im Finanz-, Telekommunikations- und Industriebebereich, aber auch im Mittelstand eingesetzt, um Prozesse in verschiedensten Bereichen zu automatisieren und menschliche Arbeitskraft für kreative und wertschöpfende Tätigkeiten als das Bedienen von überalterten Branchenlösungen freizuschaufeln. Auch wenn klar ist, dass RPA mehr oder weniger eine Brückentechnologie ist, stellt sie doch den Einstieg in das Thema Künstliche Intelligenz in Geschäftsprozessen dar. Der größte Vorteil dabei ist, dass RPA nicht-invasiv ist, d. h. ohne aufwändige Änderung am Backend genutzt werden kann.

Wie sieht es auf dem Markt aus?

Der RPA-Toolmarkt derzeit von den drei Technologie-Führern

beherrscht, die den Mitbewerbern gefühlt davon gezogen sind. Mittlerweile wurden die US-Companies Automation Anywhere und UiPath, die in Rumänien gestartet ist, und im Rahmen der globalen Expansion sogar Anfang des Jahres eine Niederlassung in München eröffnet hat, auch mit ordentlichen Summen (250 bzw. 180 Millionen USD) finanziert und sind in der Rang von „Unicorns“ aufgestiegen, d. H. sie haben einen geschätzten Firmenwert im Milliardenbereich. Mit diesem Investoren-Geld ausgestattet, expandieren beide global und vergrößern stetig die Kundenbasis und vor allem auch die Funktionalität Ihre Lösungen. Intelligente Lastverteilung, Process Mining und App-Stores sollen den Aufwände reduzieren und man bewegt sich in Richtung von RPA auf Knopfdruck. Dagegen scheint Blue Prism, ein britischer Anbieter, fast schon etwas abgeschlagen. In Sachen Internationalisierung und Roadmap können sie nicht mithalten.

Neben den Platzhirschen gibt es eine Reihe von kleineren Anbietern, die jeweils bestimmte Nischen besetzen und mit dem Gesamtmarkt wachsen. Die Hersteller heißen z. B. PEGA, Nice, Kryon und Softomotive und setzen unterschiedliche Schwerpunkte bei Ihren Lösungen. Es gibt sogar einen deutschen Anbieter – die Another Monday, deren gleichnamige Lösung seit einigen Jahren im Kundenservice der Deutschen Telekom im Einsatz sind.

RPA – mehr als ein „Pflaster“

Das „Roboticsourcing“ boomt und so sind eine ganze Reihe großer Beratungshäuser aber auch einige kleinere Spezialanbieter unterwegs, die Firmen aller Größen bei der Einführung entsprechender Lösungen helfen. Auch wenn die Low-Hanging Fruits schon fast geerntet sind, das Wachstumspotenzial ist über alle Branchen hinweg riesig und wir empfehlen, sich frühzeitig mit dieser Technologie zu beschäftigen.