Expert Views

Published on Aug 17, 2022

Messen im Wandel der Zeit

Anna-Lena Schwalm

Jährlich finden alleine in Deutschland etwa 160-180 nationale und internationale Messen statt, Regionalmessen ausgenommen. Rund 180.000 Aussteller und zehn Millionen Besucher wurden dabei jährlich bis 2020 gezählt. In diesem Jahr finden mit rund 297 Messen viele der in 2021 verschobenen Messen statt und bescheren Deutschland damit einen geballten Messe-Sommer.  Doch sind Messen noch immer zeitgemäß? Was macht sie so attraktiv und welche Bedeutung spielen neue Technologien, Digitalisierung und Software?

Vor allem für den Mittelstand sind die Zusammenkünfte ein wichtiges Instrument für Marketing und Vertrieb. Sie bieten nicht nur eine gute Möglichkeit bestehende Beziehungen zu Lieferant:innen und  Kund:innen zu pflegen, sondern sind auch effektiv, wenn es um die Gewinnung von Neukund:innen oder Mitarbeiter:innen geht. 

Viele Messen haben sich nicht nur in ihrer Größe und Anzahl der Teilnehmer:innen verändert, sondern auch thematisch. Insbesondere die Digitalisierung, die Durchdringung von Software und Technologie in allen Bereichen – B2B und B2C – ist mittlerweile auch auf nicht digitalen Fachmessen das führende Thema geworden. 

 

Corona als Katalysator für Online-Messen  

Die Corona-Pandemie hat das Messegeschehen schlagartig verändert. Viele Messen musste abgesagt oder verschoben werden. Damit entstand ein Schaden alleine für die deutsche Messewirtschaft von rund 1,6 Milliarden Euro, davon rund 670 Millionen Euro im Bereich des Messebaus. Zuvor stiegen die Umsätze der Messebranche 15 Jahre nahezu ausnahmslos an.

 

 

Um diesen Schaden zumindest teilweise abzufangen und um im Gespräch zu bleiben haben sich Unternehmen auf Online-Messen getroffen. Digitale Events haben sich als Alternative etabliert. Zumindest kamen sie in Zeiten des Lockdowns häufig zum Einsatz und punkten, bei der richtigen Herangehensweise, sogar mit einigen Vorteilen gegenüber dem Klassiker.  

Jetzt, wo Messen, Face-to-Face-Begegnungen und Netzwerken allmählich wieder in Präsenz stattfinden, wird die Bedeutung und Wichtigkeit von persönlichen Erlebnissen erst wieder bewusst. Wenngleich digitale Messen und virtuelle Showrooms mittlerweile zu der Erwartungshaltung im Umfeld von vielen Unternehmen gehört, ist die Rückkehr zum vertrauten Messe-Konzept für Besucher:innen und viele Unternehmen unumgänglich – denn das digitale Geschehen findet auch vor und nach der Veranstaltung statt. Viele Veranstaltungen gibt es mittlerweile auch als Hybrid, mit Messeständen vor Ort und digitalen Formaten. 

 

Messen- damals, heute und in Zukunft 

Messen existieren schon sehr lange und sind bereits in der mittelalterlichen Geschichte zu finden. Dort wurde an bestimmten Tagen im Jahr ein von überregionaler Bedeutung gekennzeichneter Waren- bzw. Geldmarkt abgehalten, der in der Regel mit einem gut besuchten kirchlichen Fest verbunden wurde, um für eine gute Nachfrage zu sorgen.  

Messen, auf denen weniger der direkte Verkauf, sondern vielmehr die Präsentation von Mustern und eine damit einhergehende Bestellaufnahme im Fokus stehen, haben sich im Zuge neuer Absatz- und Vertriebswege während der Industrialisierung entwickelt. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg galten insbesondere Weltausstellungen als ein herausragendes Ereignis, an dem sich die deutsche Industrie intensiv beteiligte. Als Schauplatz für die erste Präsentation wichtiger technischer Erfindungen hatten sie eine starke ökonomische Funktion und wurden nach 1933 sogar als Propaganda-Mittel genutzt. Die zahlreichen Fachmessen für klar definierte Fachbereiche und Branchen entstanden im Zuge der Ost-Westtrennung, als zahlreiche Themen im Westen etabliert werden mussten. Mittlerweile existiert eine große Menge an Fachmessen für die verschiedensten Branchen und dienen als Plattform für Innovation und Problemlösung.  

Mehrbranchenmessen, die mehrere Industriezweige ansprechen sind mittlerweile weitgehend verdrängt. Die Hannover Messe als eine der weltweit größten Messen für Industrie bzw. Investitionsgütersektor ist noch eine davon, wenngleich gewisse Schwerpunkte gesetzt sind. So war auf der vergangenen Hannover Messe das Leitthema „Industrial Transformation“ und Ausstellungsbereiche waren rund um Automation, Motion & Drives, Digital Ecosystems, Energy Solutions, Logistics, Engineered Parts & Solutions, Global Business & Markets und Future Hub. Damit zieht die Hannover Messe ein vergleichsweise breites Publikum an.  

Auch heute noch hat die Politik starkes Interesse am Erhalt einer existierenden und funktionierenden Messewirtschaft. Als weltweit führende Standort für Messen mit internationaler Ausrichtung haben fünf der zehn größten Messegesellschaften ihren Ursprung in Deutschland. Durch Corona entgingen dem Staat vier Milliarden Euro Steuereinnahmen. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass gerade zur Hannover Messe, zahlreiche Politiker:innen zu Besuch waren, um über Top-Themen und digitale Innovation zu sprechen.  

 

Doch was zählt wirklich?  

Qualifizierte Leads. Das Interesse der Politiker:innen zeigt, dass die Messen die heutigen Herausforderungen, wie Klima, Verkehr, Automatisierung, Energie usw. adressieren, doch spiegelt es nicht gleichzeitig den Erfolg einer Messe wider. Denn nicht die Anzahl der Aussteller:innen und Besucher:innen oder gar deren politische Bedeutung kann darüber Aufschluss geben. Eine Messe ist dann von Erfolg gekrönt, wenn alle relevanten Gestalter:innen einer Branche zusammenfinden. Erst dann können durch wertvolle Kontakte qualifizierte Leads entstehen und eine Messe zu der Plattform werden, die sie sein soll. Hier liegt auch ein entscheidender Unterschied einer Messe gegenüber einer Konferenz oder einem Kongress. Während die Teilnahme auf einer Messe durch die Präsentation von Konzepten oder Produkten eine klare Absatzförderung bzw. qualifizierte Leads fokussiert, steht bei Konferenzen und Kongressen eher der Austausch über Innovationen im Mittelpunkt. Je spezifische also die Messe, desto höher die Chance auf ein qualifiziertes Publikum.  

 

Fachmessen: Eine Auswahl 

Neben eher kleineren regionalen Fachmessen, deren Vorteil vor allem in einer kürzeren Anfahrt liegt, gibt es eine Vielzahl internationaler Fachmessen als zentrale Plattform für Unternehmen und Expert:innen einer jeweiligen Industrie. Hier ist eine für Cloudflight relevante Auswahl an Messen (alphabetisch sortiert).

 

Die fortschreitende Digitalisierung macht auch vor Messen keinen Halt. Diese haben sich in den vergangenen Jahren ohnehin stark verändert. Die Corona-Pandemie hat des Ganzen noch verstärkt. Auch wenn die Zahl der Teilnehmer:innen immer größer wird und es evtl. schwer fällt sich in der Masse hervorzuheben, sind und bleiben Messen für viele Unternehmen ein Highlight. 

 Zusammengefasst kann Folgendes festhalten werden: 

 

  • Messen sind wichtig – ob virtuell oder physisch. Sie bieten nach wie vor eine Bühne, um kundenorientierte Ziele zu verfolgen, neue Märkte zu erschließen und neue Vertriebswege aufzubauen.  
  • Messen dienen nicht mehr nur zur Präsentation neuer Produkte und Innovationen und um mit (potenziellen) Kund:innen zu sprechen. Es werden auch Projekte und Konzepte mitgebracht, die noch nicht marktreif sind. Dies bietet eine Plattform für neue Partner und schafft eine größere Spannweite von potenziellen Kund:innen.  
  • Die Zeiten, in denen man sich an seinen Messestand gestellt und gewartet hat, dass man angesprochen wird, sind vorbei. Durch Keynotes und Panels werden auf vielen Messen ein zusätzliches Rahmenprogramm geschaffen, bei dem der Informationsaustausch befeuert wird. Ob als Zuhörer:innen oder Speaker kann Aufmerksamkeit generiert oder neue Ideen entwickelt werden.  
  • Messen werden immer digitaler: Die Ausrichtung des Messeformats, vom einstigen Marktschreier bis hin zu einem heute hybriden Messe-Konzept. Die Vor- und Nachbereitung findet online statt. Doch gerade jetzt werden persönliche bzw. physische Kontakte vor Ort wieder besonders geschätzt.  
  • Mehrbranchenmessen verschwinden zunehmend zugunsten von Fachmessen. Der Wunsch nach spitzeren Themen mit Bezug zu Software, Technologie und digitale Komponenten wird immer größer. Diese erweitern das Kerngeschäft vieler Unternehmen aktuell und sind einerseits gute Showcases andererseits aber auch sehr wichtig für die Unternehmen. Damit einher geht ein immer qualifizierter werdendes Publikum, damit einer Messe eine gewisse Exklusivität verschafft.  
  • Messen spiegeln die Herausforderungen in der aktuellen Zeit. Ob Klimawandel, Energie oder nachhaltiges Bauen – die adressierten Leitthemen betreffen jeden. Auch durch die Corona-Pandemie sind neue Bedürfnisse entstanden oder vernachlässigte Themen auf erlebt. Von Filtersystemen bis hin zum digitalen Lernen finden sich Disziplinen, über die gesprochen und diskutiert werden. 
  • Innovation made by Cloud & KI: Thematisch findet keine Messe mehr ohne Cloud Computing oder KI statt. Sie durchdringen alle Industrien und stellen entscheidende, zukunftsweisende Konzepte für nahezu jedes Sachgebiet bereit. 

 

Für Entscheider:innen, die in der kommenden Zeit wieder oder weiterhin physische Messen besuchen sollten, bieten sich vor allem Fachmessen an, die historisch nicht zwingend aus der IT oder Digitalisierungsecke entstanden sind. Fachmessen zu branchenspezifischen Themen und Einsatzbereichen sind oft viel praxisorientierter und erfolgreicher als zu allgemeine Messen oder reine Technologie-Produktmessen. Denn Innovation und Wertschöpfung findet im Weiterdenken, nicht im Standard-Produkt statt.  

So bieten gerade Fachmessen immer häufiger einen Technologie- und Digitalisierungsbezug, da hier der größte Wachstums- und Innovationstreiber in nahezu allen Bereichen besteht. Dafür müssen die Entscheider:innen, auch nicht technische, auf die Chancen und Herausforderungen mit dem gesteigerten Technologieeinsatz einlassen. Die wesentlichen Fragen, die sie sich im Vorfeld stellen sollten sind beispielsweise die Erwartungen an die Technologien, persönliche Herausforderungen und die Investitions- und Lernbereitschaft.