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Published on Jun 15, 2020

Künstliche Intelligenz und die Energiewirtschaft

Mit Vorhersagemodellen unsere Klimaziele erreichen

Sowohl die EU als auch Deutschland haben sich ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt: Bis 2050 sollen die jährlichen Treibhausgas (THG)-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent sinken.

Um diese Ziele zu erreichen und den globalen Energiebedarf zu decken, wird die dezentrale Energieerzeugung eine sehr große Rolle spielen. Die lokal verfügbaren Energiequellen wie Solar, Wind und andere erneuerbare Energien müssen in Zukunft stark steigen. Die Dezentralisierung disruptiert die traditionelle, zentralisierte und lineare Energieerzeugung. Hieraus entsteht ein sehr komplexes System aus vielen Energiequellen und Akteuren. Hinzu kommt die Schwankungsbreite der regenerativen Energien, welches das Netz noch komplexer gestaltet.

Als Konsequenz entsteht ein sehr dynamischer Markt, sowohl für die Anbieter als auch für die Konsumenten. Letztere können gleichzeitig auch zu Anbietern werden, sogenannte “Prosumer”. Jeder Akteur auf dem Markt hat zukünftig minütlich die Entscheidung zu treffen, welches Verhalten gerade am wirtschaftlichsten ist: Energie verbrauchen, Energie verkaufen, Energie speichern. In diesem Szenario sind Vorhersagemodelle und eine vollumfängliche Vernetzung aller Akteure entscheidend, da so eine Optimierung hinsichtlich Kosten sowie CO2-Ausstoß gewährleistet werden kann.

Klassischerweise gibt es (vereinfacht) folgende Akteure im Energiemarkt:

  • Energieverbraucher
  • Netzinfrastrukturbetreiber & Netzagentur
  • Energieerzeuger & -distributoren

Um diese drei Stakeholder in Einklang zu bringen, kann Künstliche Intelligenz (KI) eine große Rollen spielen und hierbei erheblich unterstützen. Nachfolgend analysieren einige Lösungen, wie diese helfen können, den CO2-Ausstoß durch die Optimierung der Energieverbräuche, Speicherung und Erzeugung zu verringern und gleichzeitig die wirtschaftlich sinnvollste Option zu wählen.

Künstliche Intelligenz auf Energieverbraucherseite

Privathaushalte werden zunehmend zu “Smart Homes”. Einige Plattformen übernehmen die komplette Vernetzung innerhalb eines Hauses und können so auf geänderte Wetterbedingungen reagieren. So kann die Waschmaschine über den hauseigenen Solarstrom betrieben und gleichzeitig das Elektroauto geladen werden, wenn die Sonne scheint und am nächsten Tag erneut mit sonnigem Wetter zu rechnen ist.
Ist die Wetterprognose für den nächsten Tag hingegen regnerisch und im Kalender steht auch keine Fahrt mit dem Auto, wird dieses nicht geladen und der erzeugte Strom in der hausinternen Batterie gespeichert. Lösungen für das vernetzte Eigenheim bieten zum Beispiel der Bosch Energiemanager oder der SMA Sunny Home Manager.Bisher sind die Energiemanager in der Regel nur in Häusern mit einer eigenen Photovoltaikanlage oder Wärmepumpe anzutreffen. Zukünftig werden sie aber in jeden Haushalt einziehen, um bei hohen Netzlasten (bspw. durch gleichzeitig ladende Elektroautos) Verbraucher vom Netz zu nehmen, damit dieses nicht zusammenbricht. Auf der anderen Seite helfen sie auch bei dem anderen Extrem: Ist überschüssige Energie durch Wind- oder Solaranlagen vorhanden, wird diese genutzt, um die Verbraucher im Haus automatisiert zu starten und zu betreiben. Als Beispiele können hier das automatische Laden des E-Bike-Akkus oder das Starten der Waschmaschine genannt werden.

Bei den Elektroautos gibt es aktuell aber noch Hürden zu nehmen. Bis auf die Fahrzeuge von Tesla kann noch kein Modell aus einem Smart Home ferngesteuert werden. Hierfür ist es wichtig zu wissen, dass Elektroautos nicht einfach von außen per Relais an- und ausgeschaltet werden können. Diesen Vorgang steuert in der Regel der eigene Computer des Fahrzeugs. Bevor ein Stecker gezogen wird, muss dem Auto mitgeteilt werden, dass es aufhören soll zu laden. Erst dann darf der Stecker gezogen werden. Andernfalls kann es zu Schaltspitzen in den Batterien kommen.

Hieraus resultiert die Anforderung, dass in Zukunft alle Elektrofahrzeuge es ermöglichen sollten, über eine offene API ferngesteuert zu werden. Dann kann sowohl die KI des Smart Homes, als auch die KI der Netzbetreiber die Fahrzeuge je nach Bedarf an- und ausschalten.

Effiziente Unternehmen

Aber auch für Unternehmen tut sich einiges hinsichtlich der Energieeffizienzsteigerung und Verringerung des eigenen CO2-Fußabdrucks. Es gibt eine Vielzahl an Lösungen, die aufzeigen, wie hoch Energieverbräuche sind und die Optimierung durch Vorhersagemodelle (teil-)automatisiert werden kann. Nachfolgend sind einige exemplarisch skizziert.

Die von Recogizer entwickelte Software energyControl optimiert Klimatechnik in Bürogebäuden mittels künstlicher Intelligenz. Das selbstlernende System bedient sich der Wetter- und Belegungsdaten sowie der Gebäude- Nutzungs-/Öffnungszeiten für seine Berechnungen und Prognosen. Die Prognosen des Energiebedarfs können nicht nur für das gesamte Gebäude erzeugt werden, sondern auch für einzelne Klimazonen. Je nach Anforderung kann die vollautomatisierte Regelung des Klimas im 15-Minuten-Rhythmus erfolgen. Scheint im Sommer die Sonne auf das Gebäude, läuft die Klimaanlage. Ist es ein bewölkter Tag, wird diese möglicherweise nicht benötigt und der Energieverbrauch eingespart.

Einen anderen Weg wählt Google. Der Konzern aus Mountain View hat einen Algorithmus entwickelt, der nicht darauf achtet, weniger Energie zu verbrauchen, sondern dass die Datencenter zukünftig mehr Rechenleistung abrufen, wenn regenerative Energiequellen zur Verfügung stehen. Das heißt, dass nicht kritische Services, wie das Hinzufügen neuer Wörter zu “Translate” oder die Erstellung neuer Fotofilter, dann geschieht, wenn mehr Sonne scheint oder der Wind stärker bläst. Jeden Tag werden die Voraussagen zweier Unterschiedlicher Modelle miteinander verglichen. Google hat ein eigenes Modell zur Vorhersage des stündlichen Energieverbrauchs der Datencenter entwickelt. Zum Vergleich steht das Modell des dänischen StartUps Tomorrow bereit, dieses sagt voraus, wie sich die durchschnittliche stündliche Kohlenstoffintensität des lokalen Stromnetzes im Laufe eines Tages ändern wird. Beide Quellen werden mittels der “carbon-intelligent platform” von Google abgeglichen, um auf stündlicher Basis die Rechenaufgaben an Zeiten kohlenstoffarmer Stromversorgung anzupassen.

Künstliche Intelligenz in der Netzinfrastruktur

Um sowohl die Kon- als auch die Prosumenten zukünftig in Einklang zu bringen, sind Smart Grids unabdingbar. Die intelligenten Stromnetze verknüpfen die Informationen und Daten untereinander und können so Lastspitzen ausgleichen.

Ein Beispiel ist hier das Unternehmen ifesca. Deren Software ifesca.AIVA kann in kürzester Zeit den Bedarf des Netzes bereitstellen. Darauf aufbauend können Simulationsrechnungen bezüglich Ein- und Ausspeisesituationen bzw. Überlastsituationen durchgeführt werden. Somit sehen Netzbetreiber, wie sich unterschiedliche Lastverteilungen abhängig von den Prognosen verhalten und wie hier intelligent reagiert werden kann, um das Netz im Gleichgewicht zu behalten.

Um wissen zu können, wie die Netzinfrastruktur aussehen muss, um den zukünftigen Energiebedarf abdecken zu können, haben wir bei Cloudflight Modelle zur Vorhersage trainiert. Dieser berechnen unter anderem anhand von Mobilitätsdaten und den daraus ableitbaren Mustern eine Voraussage über den zu erwartenden Energiebedarf einer bestimmten Region.

Natürlich kommt es auch vor, dass je nach Lastsituation, Wetterbedingungen oder Alter die Netzinfrastruktur beschädigt wird und ausfällt. Um Ausfälle zu verhindern bevor sie auftreten, wird auch hier Künstliche Intelligenz für die vorausschauende Instandhaltung (Predictive Maintenance) eingesetzt.

Schon seit dem Jahr 2017 ist im Bereich der Mittelspannungsnetze von Schleswig-Holstein Netz dieses Verfahren im Einsatz. Um mögliche Fehler voraussagen zu können, greift der Algorithmus auf eine Reihe von Daten zurück. Diese sind beispielsweise Störungsberichte, Lastdaten, Wetterdaten und Anlagendaten. Neben der Sicherheit vor einem Netzausfall hat diese Datenanalyse den weiteren Vorteil, dass auch die Instandhaltungsaufgaben besser geplant und vorbereitet werden können. Es gibt überwiegend geplante Wartungen und weniger “Feuerwehreinsätze”.Auch wir sind in diesem Bereich seit ca. zwei Jahren für einen Energieversorger aus Österreich aktiv. Durch die laufende Überwachung verschiedener Anlagenparameter können wir hier sich anbahnende Probleme erkennen, noch bevor sie sich negativ auf den Betrieb auswirken.

Künstliche Intelligenz in der Energieerzeugung und Energiedistribution

In der Energieerzeugung spielen die Prognosen bestimmter Parameter einen entscheidenden Faktor über die Wirtschaftlichkeit.

Bei der Fernwärmeerzeugung ist Strom ein “Abfallprodukt”, kann also zusätzlich verkauft werden. Hierzu muss man wissen, dass man Wärme besser und günstiger als Strom speichern kann. Die Herausforderung ist also, die kosteneffizienteste Lösung zwischen der Erzeugung und der Speicherung zu schaffen. Gekoppelt für jeweils beide Energiearten.

Bei einem Cloudflight-Projekt für einen Energieversorger haben wir ein Modell entwickelt, das den Fernwärmebedarf vorhersagt, vorwiegend anhand der wechselnden Außentemperatur, aber auch aufgrund von tageszeitabhängigen Einflussfaktoren. Somit wird dann Wärme produziert, wenn der Strom gerade teurer verkaufbar ist. Sobald dieser billiger wird, wird die Wärme- und Stromproduktion eingestellt und die Fernwärme aus den Energiespeichern entnommen.
Inputdaten sind bei so einem Modell unter anderen die Wettervorhersage auf einem sehr engmaschigen Raster, inklusive der Berücksichtigung der Temperaturverläufe.

KI kann aber nicht nur helfen, mehr Umsatz durch die optimierten Verkäufe zu erzielen, sondern auch davor schützen, empfindliche Strafzahlungen zu leisten. Diese drohen nämlich in manchen Märkten den Betreibern von Solar- und Windkraftanlagen, wenn die tatsächlich erzeugte Leistung von den Prognosen abweicht. Eine Lösung hierfür bietet energy & meteo systems. An der Schnittstelle von Meteorologie und Energiewirtschaft positionieren sie ihr Kundenportal, bei dem Anlagenbetreiber Prognosen über ihre Leistungsabgabe von fünf Minuten bis zu 15 Tage im Voraus einsehen können. Dies basiert auf Grundlage von verschiedenen Wettervorhersagen und Windleistungsprognosen.

Der Stromanbieter awattar geht einen in Deutschland bisher einzigartigen Weg für seine Kunden. Er bietet einen Tarif auf stundengenauer Abrechnung an. Gekoppelt an den Börsenpreis schwankt der Strompreis über den Tag, je nachdem, wie viel (erneuerbare) Energie im Netz vorhanden ist. Ist zu viel Angebot und zu wenig Nachfrage am Markt, kann der Börsenpreis sogar ins negative gehen, wie in der nachfolgenden Grafik zu sehen ist. Möglich wird dieses Modell über ein Smartmeter, welches beim Kunden installiert wird. Der Distributor kann hiermit dem Kunden ein sehr innovatives Produkt anbieten, das hilft, sowohl Geld zu sparen, als auch zur Energiewende beizutragen.

Bessere KI durch übergreifenden Datenaustausch

Wie die vorangegangenen Beispiele zeigen, bietet Künstliche Intelligenz eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks, da mit ihrer Hilfe erneuerbare Energien leichter in die bestehende Energienetz-Infrastruktur eingebunden werden können.

Die vollumfängliche Wirkung kann KI aber nur bieten, wenn alle drei angesprochenen Bereiche in sich digitalisiert und miteinander vernetzt sind. Von immenser Wichtigkeit für eine sehr genaue Vorhersage und Automatisierung aller Parameter, Anlagen und Verbraucher ist der übergreifende Datenaustausch. Nur so können die Algorithmen voneinander lernen und sich stetig verbessern.

Voraussetzung für aktuelle Daten ist gerade in den Haushalten die Installation eines Smartmeters, welches stundenweise die Daten übermittelt. Es gibt viele Modelle, die nur einmal in der Woche ihre Daten weitergeben. Dies ist für eine aktive Steuerung jedoch deutlich zu selten.

Wie ist Ihr Unternehmen aufgestellt?

Haben sie sich hierzu schon Gedanken gemacht? Neben monetären Anreizen hat der Ruf eines “grünen” Unternehmens auch noch den Vorteil, dass Sie sowohl bei Ihren Kunden als auch bei potentiellen neuen Mitarbeitern punkten. In der heutigen Zeit wird der Purpose eines Unternehmens stark in den Entscheidungsprozess mit einbezogen, wer der neue Lieferant oder Arbeitgeber werden soll. Aber sind wir ehrlich: nicht jedes Unternehmen und Geschäftsmodell bietet sich dafür an, einen tiefgreifenden Purpose zu haben. Daher kann man sich mit der ökonomischen und umweltfreundlichen Gestaltung der alltäglichen Prozesse attraktiv positionieren.

Dabei können Sie sich auch darauf fokussieren, mit Hilfe der KI netzdienliche Lasten zu steuern. Je nachdem wie Sie den Strom stundengenau beziehen, kann hier ein enormer Preisvorteil entstehen. Auch wenn es “nur” die Ladung der E-Autos auf dem Mitarbeiterparkplatz ist. Wie am awattar Beispiel gesehen, lassen sich so die erneuerbaren Energien deutlich stärker nutzen.

Sollten Sie sich bisher noch nicht mit dem Thema Energie-Optimierung mittels Künstlicher Intelligenz befasst haben, ist jetzt die Zeit.

Ob es das Einsparen von Energie ist, um Kosten zu reduzieren oder vermehrt auf erneuerbare Energien zu setzen, um “saubere” Energie nutzen zu können, die Hürden waren noch nie so niedrig. Die Technologien wie Künstliche Intelligenz, Digital Twin, und Cloud Native liegen bereit, es muss jetzt umgesetzt werden.

Das Gleiche gilt auch für die Branche der Energieerzeuger und Netzbetreiber. Jetzt werden die Weichen für die Zukunft gestellt. Stellen Sie sich und Ihre Infrastruktur intelligent auf, um für die Dezentralisierung der Energiewirtschaft vollumfänglich gewappnet zu sein. Zum einen sollten Sie sich auf neue Geschäftsmodelle vorbereiten, auf der anderen Seite steigt wie eingangs erwähnt die Komplexität. Vermutlich aber nicht ihr Budget. Mehr Personal ist somit nicht möglich und die einzige Chance, diese Komplexität zu meistern, ist somit bessere Technologie. Es muss auch nicht von Anfang an der “große Wurf” sein. Mit ersten Proof of Concepts kann gestartet werden und Sie können in die “neue Welt” eintauchen und erste Erfahrungen sammeln.

Wie Sie sehen, bietet die Künstliche Intelligenz einige Optionen, mit denen auch Sie zu den Klimazielen beitragen können. Nehmen Sie die Zukunft der nachfolgenden Generationen ernst? Dann sollten Sie jetzt handeln.