Expert Views

Published on May 02, 2018

Hannover Messe 2018

  • Die Hannover Messe ist die größte Industriemesse der Welt mit über 5.000 Ausstellern und 200.000 Besuchern.
  • IT und OT (information technology und operational technology) wachsen immer mehr zusammen.
  • Auf welche Trends sollten Unternehmen jetzt aufspringen?

Hannover Messe 2018 – IT und OT wachsen zusammen.

Die Hannover Messe ist mit mehr als 200.000 Besuchern jedes Jahr die weltweit größte Industriemesse. Neben den deutschen und europäischen Anbietern, kamen viele der über 5.000 Ausstellern, die letzte Woche in Hannover ihre Innovationen vorstellten, traditionell aus dem asiatischen Raum, um ihre Produkte in Europa zu vermarkten. So war die Messe wieder für ein breites Spektrum von Firmen interessant; vom Anwender, der fertige industrielle Lösungen von Konzernen wie Siemens, ABB oder Schneider Elektric sucht, bis hin zum Fertigungsunternehmen die Maschinen, Automatisierung oder Rohprodukte und Komponenten auf der Hannover Messer finden konnten. Neben den zahlreichen Maschinenbauunternehmen, die immer mehr Automatisierungstechnologie und andere Operational Technology (OT) anbieten, ist der Anteil der IT-Unternehmen die letzten Jahre immer größer geworden. Wie zu den Hochzeiten der CeBit, fehlte kaum einer der traditionellen IT-Anbieter wie IBM, Oracle, SAP, Telekom und Microsoft mit ihren B2B-Angeboten auf repräsentativen Messeständen. Neu in diesem Jahre in Hannover waren aber die professionellen Messeauftritte der nativen Cloud-Anbieter. Erstmals war der Stand von Amazon mit seinen Cloud-Diensten, AWS, ein großer Stand der dem Marktanteil von AWS entsprach und sich von der Fläche nicht mehr hinter den oben genannten verstecken musste. Auch Google hatte seine Präsenz auf der Hannover Messe deutlich gegenüber den letzten Jahre ausgebaut. Alle IT- und Cloud-Anbieter hatten Referenzen und Pilot-Integrationen mit echten Industriekunden oder Anlagenbauern vorzuweisen. So zeigte Siemens gleich mit mehreren Exponaten am Siemens- und am AWS-Stand wie die Siemens-Mindsphere IoT-Plattform mit den Amazon Web Services und Edge-Technologie zusammenarbeitet. Diese vorgestellten Integrationen kombinieren beispielsweise die AWS-Plattformdienste (PaaS), eine Daten-Vorverarbeitung mit AWS Lambda auf Edge Devices unter AWS Greengrass oder die AWS Storage-Dienste mit der Siemens-Wertschöpfung von Mindsphere. Auch Microsoft hat angekündigt nachzuziehen und Mindsphere auf ihrem Cloud-Dienst Azure zu unterstützen. Obwohl auf AWS und Azure für die meisten IoT-Plattformaufgaben vergleichbare Dienste, um Mindsphere und sogar in Konkurrenz zu Mindsphere vorhanden sind, müssen sich Kunden für einen von beiden entscheiden. Ein müheloses Wechseln ist eine Illusion und von den Cloud-Anbietern auch nicht wirklich gewollt. Das gilt erst recht für Anwender die mit Mindsphere on-premises arbeiten wollen und fehlende Funktionalität und Betriebskonzepte von Anbietern wie der ATOS als Projektleistung kaufen möchten. Hat man einmal in diese Richtung ein bis zwei Jahre investiert, ist die Chance auf massive Kostenersparnis durch Azure oder AWS nur noch viel schwerer realisierbar. Das Beispiel von Mindshere zeigt die komplexe Vermischung zwischen Operational Technologies (OT) und Information Technologies (IT).

Die Hannover Messe zeigt traditionell Maschinenbau (Bild: HannoverMesse.de)

Industrieunternehmen, egal ob weiter vorne in der Wertschöpfungskette, ganz am Schluss am fertigen Produkt oder dem After-Sales Markt, sollten sich für alle Trendthemen genau überlegen, wann sie einsteigen und ob sie eine Cloud, on-premises oder hybride Plattformstrategie verfolgen.

Um über alle Trendthemen der Hannover Messe diese Entscheidung für Ihr Unternehmen treffen zu können, möchte Crisp Research eine konkrete Hilfestellung anbieten. Dazu haben wir die Projekte, Produkte und Demos, die wir zu den einzelnen Themen auf der Hannover Messe gesehen haben, in den bekannten Technologie-Lifecycle nach Geoffrey Moore eingeordnet.

Steigen sie beispielsweise in eine sehr frühe Technologie ein, muss ihnen klar sein, dass der Anbietermarkt noch nicht konsolidiert oder von großen Anbietern stabilisiert ist. Innovative Anbieter können wieder vom Markt verschwinden, aufgekauft werden oder nicht zu ihrer präferierten Cloud-Strategie passen. Trotzdem sind frühe Technologien hoch interessant, um neue Produkte oder Geschäftsmodelle zu realisieren.

Ist eine Technologie in der frühen oder sogar späten Mehrheit, gibt es zwar immer noch einen guten Innovationsstrom, aber die meisten ihrer Wettbewerber nutzen diese Technologien auch. Es ist also eher wettbewerbsentscheidend sich rasch damit auseinander zu setzen.

Ist ein Technologiebereich im Feld der Nachzügler, läßt der Innovationsstrom bereits deutlich nach. Die meisten ihrer Konkurrenten haben Erfahrungen damit. Ihr Vorteil ist meist eine reine Kostenersparnis.

Im einzelnen bewertet Crisp Research die Trend-Themen der Hannover Messe 2018 wie folgt:

Hannover Messe 2018, Die Trends mit ihren Reifegraden, Quelle: Crisp Research

  • Künstliche Intelligenz & Machine Learning suchen noch OT Anwendungen. Auch wenn in der IT viele KI- und ML-Anwendungen reif und in Produktion sind, gab es aus der OT-Welt hauptsächlich Prototypen zu sehen. Natürlich gab es auch letztes Jahr schon Roboter die selbsttätig ihre Wege finden, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen, aber kaum ein System hat vollkommen neue, vom Menschen nicht vorgegebene Lösungen gefunden oder konnte die Komplexität von Sprache im industriellen Umfeld meistern.
  • Digital Twin hat wenige Vorzeige-Beispiele. Wer kennt sie nicht, die tollen Beispiele eines digitalen Zwillings, mit dem zum Beispiel GE Flugzeugturbinen im digitalen Netz jederzeit simuliert, obwohl der reale Zwilling unter Umständen gerade am Fliegen ist und gar nicht online ist. Dennoch ist das Konzept der digitalen Zwillinge immer noch ein starkes Differenzierungsmerkmal. Immer und überall online zu sein, ist eben im industriellen Umfeld des Internet der Dinge (IIoT) eher ein Wunschtraum der Telcos.
  • Plattformökonomie steht noch vor dem Durchbruch. Neben den ganzen Technologietrends, greift die Hannover Messe zum Glück auch Business-Themen auf. Die Plattformökonomie verspricht durch industrielle Kooperation und Kollaboration einen Netzwerkeffekt und einen nicht dagewesenen Effizienzsprung. Es gibt einige Beispielen der intelligenten “Smart Supply”-Chains, die schon viel reifer sind und deren Business-Modell auch hier unter Plattformökonomie diskutiert wird. Im großen und ganzen sind aber fast alle Plattformen zwar Multi-Tenant-Plattformen in der Cloud oder haben Schnittstellen zu anderen Plattformen, die wenigstens sind aber wirklich kollaborativ und können intelligent Events zwischen OT und IT oder zwischen verschiedenen Firmen entlang der Wertschöpfungskette austauschen.
  • CoBots werden langsam reifer. Obgleich einige Nischenbranchen schon lange mit CoBots arbeiten, also mit Robotern die gemeinsam mit Menschen agieren, bietet die Kombination zwischen Machine Learning und Cobotik ein enormes Potential, das bisher nur annähernd ausgeschöpft ist.
  • Integrated Industry bringt Konnektivität und Kollaboration in die Smart Factory. Der Trend repräsentiert die technischen Möglichkeiten durch Integration und Kollaboration einen zusätzlichen Wert oder digitale Produkte zu schaffen. Und dies nicht nur entlang der Wertschöpfungskette, sondern auch im Ökosystem des Kunden mit fertigen Produkten. Während die Automatisierung um Industrie 4.0 theoretisch schon sehr reif ist, verlangsamen jedoch die Privatsphären-Bedenken und unreife Geschäftsmodelle der Plattformökonomie den Erfolg der “Integrated Industry”.
  • Integrated Energy ist etwas weiter als die allgemeine Integrated Industry. Hier gibt es einfach weniger Player die es zu synchronisieren gibt und das europäische Strom-Grid ist sicher das größte und stabilste der Welt. Diese Reife zieht jedoch die Innovationsgeschwindigkeit für e-Mobility und weitere Energy Efficiency über die LED-ifizierung hinaus, deutlich nach unten. Deutschland muss aufpassen, dass es in Bezug auf Elektro-Ladeinfrastruktur nicht, genauso wie bei der Internetversorgung, das Schlusslicht der Industrie-Nationen wird.


e-Mobilität braucht Laden-Infrastruktur mit flexibler Bezahlung und hoher Leistung (Bild: HannoverMesse.de)

  • Smart Supply Technologien sind marktreif, nicht aber seine Produkte. Die smarte Supply Chain ermöglicht, kombiniert mit der reifen Industrie 4.0- Automatisierung, beispielsweise die Produktion von Losgröße 1 in Branchen die bisher eine Massenfertigung bevorzugten. Auch wenn es die Smart Supply-Technologien beispielsweise ermöglichen eine bestimmte Komponente eines Lieferanten just-in-time zum Endmontage verfügbar zu machen, haben viele Hersteller diese Fähigkeiten noch gar nicht vermarktet. Gemäß der deutschen Mentalität, “erst liefern können und dann vermarkten” ist Smart Supply deutlich hinter seinem Potential obwohl die Technologie in vielen Unternehmen schon eingesetzt oder verfügbar sind.
  • Leichtbau und 3D-Druck ist nicht mehr aufzuhalten. Immer mehr ist mit “Additive Manufacturing”, wie sich die Innovatoren im professionellen 3D-Druck gerne nennen, möglich. Insbesondere mit neuen Werkstoffen und “Druckbarem Metall”. Nicht nur so, entstehen immer faszinierende Leichtbau-Konstruktionen. Wer in der Branche ist und noch nicht damit arbeitet, verliert rasch an Wettbewerbsfähigkeit.

Additive Manufacturing: Prototypen, Ersatzteile oder Varianten, vieles ist heute druckbar. (Bild: HannoverMesse.de)

  • Predictive Maintenance kürzlich zum Unwort eines Bitkom-Arbeitskreises erklärt. Die meisten Vorreiter der Branchen können es schon nicht mehr hören. Die predictive Maintenance-Szenarien sind zum Mainstream geworden und es entfalten sich munter neue Geschäftsmodelle die darauf aufbauen. So stellen einige Hersteller von Maschinen von CAPEX- auf OPEX-Geschäftsmodelle um, weil ihre predictive Maintenance so reif ist, dass sie das Risiko dieses Schritts sehr gut abschätzen können.
  • Logistik 4.0 optimiert hauptsächlich die Marge eines Anbieters. Just-in-time-Logistik und realtime tracking mit RFIDs oder GPS Tracern gibt es schon länger. Wer ein Geschäftsmodell darum finden kann oder seine Logistikdienstleistungen dadurch attraktiver machen kann, sollte es spätestens jetzt machen. Die Konkurrenz macht es nicht nur, sondern fährt schon bessere Margen damit ein.
  • Industry 4.0 hat an Innovationsgeschwindigkeit deutlich verloren. Auch wenn die Industrie 4.0 Visionäre, IoT-Geschäftsmodelle und disruptive Innovation genauso im Sinn hatten wie einfach eine kontinuierliche Weiterentwicklung der OT/IT-gestützten Automatisierung, ist die letztere einfach die dominierende Form von Industrie 4.0 in Deutschland. Crisp Research hatte bereits in dem Analyst View zur Hannover Messe 2017 dieses Dilemma beschrieben. Der Fokus auf eine kontinuierliche Entwicklung katapultiert das Thema Industrie 4.0 auf einen hohen Reifegrad. Wer also in das Industrie 4.0-Muster der Automatisierung passt und es noch nicht angefangen hat, ist ein Nachzügler und sollte sich beeilen den Bestand des Unternehmens zu sichern.

Augmented/Mixed/Virtual Reality war an vielen Stellen zu sehen. (Bild: HannoverMesse.de)

Neben den oben beschrieben Trendthemen der Hannover Messe 2018 war aber auch viel Innovation zu sehen, die noch ganz vorne, vor ihrer Markteinführung steht. Augmented Reality steht zum Beispiel am Scheidepunkt zwischen einer horizontalen Technologie und sinnvollen Branchenlösungen.

Zusammenfassend nimmt das Crisp Team von der Hannover Messe 2018 mit: IT und OT wachsen mehr denn je zusammen. Auch wenn OT einen lokalen Fokus hat, um vor Ort ohne jede Verzögerung die Fertigung zu steuern, und IT zunehmend in der Cloud stattfindet, sind die meisten interessanten Innovationen eine Kombination aus IT und OT. Unternehmen müssen entsprechend die Aufgabenteilung in CIOs und Produktionsleiter überdenken und sich gegebenenfalls Hilfe durch einen neuen Chief Digital Officer holen.