- Eine der größten Cloud- und IT-Konferenzen ist die AWS re:invent, die auch dieses Jahr in Las Vegas mit einem neuen Besucherrekord von weit über 50.000 Besuchern stattfand
- Crisp Research war für Sie dabei und hat sich umgehört, wie die Produkt- und Enterprise-Strategie von AWS im kommenden Jahr aussieht und wie Partner und Kunden das Momentum einschätzen
- AWS hat wie immer Wort gehalten und eine spannende Veranstaltung mit vielen vielen vielen Ankündigungen auf die Beine gestellt
Die AWS re:invent, die jährliche Konferenz um Amazons Cloud-Services, lockt Jahr für Jahr mehr Besucher nach Las Vegas, um die Cloud-Story des derzeitigen Markt- und Innovationsführers als erstes zu erfahren. Ein umfangreiches Rahmenprogramm, viele Tracks für kleine Gruppen wie den exklusiven Analyst-Summit und vor allem zahlreiche Announcements, erwarteten die Teilnehmer in den 4 bis 5 Tagen in der Glücksspiel-Hauptstadt der USA.
Auch in diesem Jahr hat AWS bewiesen, dass es nicht nur Cloud Computing, sondern auch Events sehr gut kann. Zahlreiche Ankündigungen und neue Services wurden präsentiert, die eine teilweise klare Sprache für die Strategie von AWS sprechen. Kundennah will sich AWS geben. Keiner der offiziellen AWS Spokespeople auf und neben der Bühne wurde müde zu betonen, wie groß der Einfluss der Kunden auf die Produktroadmap ist. “90 % der Features und Releases kommen direkt aus Kundenfeedback, die restlichen 10 % sind unmittelbar davon abgeleitet”, hieß es frei übersetzt am laufenden Band. Innovation ist immer noch die Hauptsache von AWS. Das Kundengespräch, die Probleme und Herausforderungen sind in der Wertigkeit aber noch einmal deutlich gestiegen. Während Apple insbesondere in der Ära Steve Jobs sehr erfolgreich war, Dinge zu zeigen, mit denen keiner gerechnet hat, lernt AWS gerade den Charme der Enterprise-Strategie und Innovationsgeschwindigkeit etwas besser kennen. Dennoch erwartet AWS auch im Jahr 2018 mit 1.800 Updates & Releases die eigene Rekordmarke von 1.600 im Vorjahr zu knacken.
Feature & Release Feuerwerk re:re:re:re:re:re:re:loaded
Mit den großen Ambitionen für ebenso großen Zahlen hat AWS sich somit eine klare Aufgabe gestellt: Alle Lücken zu schließen, die ihre Kunden auf der Plattform finden oder potenziell finden könnten, um ihre Cloud-Architektur “Enterprise-ready” zu machen.
Das bedeutet für AWS, einen Mix aus Fortschritt und Rückschritt zu wagen. Einerseits wollen die Unternehmen neue Updates und im Kontext der cloud-native Services wie Machine Learning, IoT, Analytics und Container-Innovationen vorantreiben. Andererseits stolpern sie nicht selten über die Basics, wie einen stabilen Betrieb der On-Premise und Cloud-Architekturen im Hybrid-Modell. Hier spielt auch die Rolle der Wettbewerber stark hinein. AWS gelingt es bereits seit einiger Zeit, die Balance aus klassischen Enterprise Workloads und neuen cloud-native Services gut abzubilden. Dennoch gibt es phasenweise Lücken, die insbesondere zu Google und Microsoft bestehen. Azure kommt stark auf der Enterprise-Workload-Ebene und ist dort stark aufgestellt, muss im Vergleich zu AWS aber im cloud-native Umfeld aufholen. Umgekehrt ist es bei Google, wo cloud-native Technologien besonders gut etabliert sind, das Enterprise-Thema aber immer noch hinterher ist. Es zeigt sich klar, dass AWS mittlerweile nicht mehr ganz umhin kommt, die Portfolios der Wettbewerber in ihrer Release-Roadmap zu berücksichtigen, um in einzelnen Bereichen auch einmal nachzuziehen. Daher geht es in vielen Bereichen, wie insbesondere Serverless, einen Schritt nach vorne (cloud-native), in anderen Bereichen ist der nächste Schritt, sich auch auf die klassischen Workloads und Probleme der Unternehmen zu besinnen und entsprechend neue Alternativen zu bieten (Hybrid Cloud & Migration).
Einige wichtige Announcements und Themenbereiche sind vor allem:
- Compute: AWS hat drei neue relevante EC2-Instanzen angekündigt. Für das HPC gibt es mit der EC2 C5n-Instanz eine neue Variante mit 100 Gbps Netzwerk-Durchsatz. Die EC2 A1 Instanz ist eine ARM-basierte Instanz, die für Scale-out Workloads wie bspw. Web und eCommerce entwickelt wurde. Zusätzlich gibt es mit der EC2 P3dn Instanz ein Update für das Distributed Learning.
- AWS Outposts: Hardware und Hybrid Cloud sind für AWS in weiten Teilen ein Novum. Zwar ist die VMware-Partnerschaft, die strategisch wichtig für AWS ist, schon 12 Monate alt. Mit AWS Outposts hat AWS nun eine eigene Hardware vorgestellt, die für das lokale (VMware-basierte) Rechenzentrum entwickelt wurde und AWS in die eigenen vier Wände bringt. Die Einsicht, dass die Public Cloud mittelfristig doch nicht für alle Workloads universell geeignet ist, ist durchaus ein Novum für AWS.
- AWS Management Tools: Ein großer Fokus lag auf den Management-Services der Plattform. Admins sollen es einfacher haben, große Gruppen von Nutzern zu verwalten, zu skalieren oder Anwendungen sicher bereitzustellen. Mit Predictive Scaling will AWS dank Machine Learning die Performance zu Lastspitzen optimieren. Mit dem Control Tower soll die Verwaltung von Multi-Accounts in einzelnen Locations optimiert werden.
- AWS Machine Learning: Machine Learning war definitiv eines der Fokusthemen auf der re:invent 2018. Hier hat AWS nicht an Announcements gespart, die sich entweder rund um das im Vorjahr vorgestellt SageMaker drehten oder eigenständige Announcements waren. Für die Texterkennung hat AWS mit Textract ein neues, verbessertes Tool für die Unternehmen vorgestellt. Im Kontext Reinforcement und Deep Learning gab es ebenso einige Ankündigungen. Unter anderem wurde mit Inferentia ein eigener Machine Learning Chip für Deep Learning gezeigt. Hinzu kommen mit dem Machine Learning-Marktplatz weitere Optionen für den einfacheren Zugang zu relevanten Tools und Daten.
- Weitere Announcements: Auch im Kontext Storage, Datenbanken und Networking hat AWS einige Updates gezeigt. Diese sind oft auf detailliertem Produkt-Niveau, können aber gerade für einzelne Workloads oder globale Infrastrukturen sehr hilfreich sein. Das Thema Serverless Computing rund um Lambda schwingt sehr häufig in den Announcements mit, um auch dort in den verschiedenen Bereichen (Machine Learning, Analytics, Security, Management, etc.) weitere Fortschritte zu machen.
Container & Kubernetes – Auch AWS gönnt sich White Spots
Bei allen Neuigkeiten, der Euphorie und der Kundennähe hat AWS ein Thema etwas aus den Augen verloren. Der Container-Hype, der insbesondere Google derzeit einen großen Aufschwung im Markt gibt, geht an AWS noch etwas vorbei. Tatsächlich hat AWS auf der re:invent den Marketplace for Containers mit über 160 kuratierten Container-Produkten angekündigt und damit immerhin einen Schritt gemacht. Insbesondere für Deutschland ist interessant, dass u.a. auch die Software AG mit 10 Container-Produkten im Marketplace vertreten ist und somit auch für die Unternehmen hierzulande attraktive Lösungen bereitgestellt werden.
Die Zahl, Präsenz und Relevanz des Container-Themas auf dem Event war jedoch insgesamt sehr niedrig. Das ist gerade vor dem Hintergrund verwunderlich, dass AWS im Vergleich insbesondere zu Google deutlicher hinterherhinkt. Die Performance und die Services insbesondere rund um Kubernetes ist zwar vorhanden, aber noch nicht hinreichend ausgebaut. In der Praxis haben einige Unternehmen immer wieder Schwierigkeiten, Container Services nativ auf AWS ohne die Hilfe eines Providers oder einer Management-Lösung à la GiantSwarm oder Loodse lauffähig zu bekommen.
Wenngleich AWS in den vergangenen Monaten schon einiges in Richtung Container und Kubernetes unternommen hat, sind noch einige Hausaufgaben zu tun, um eine Performance und Stabilität ähnlich der Google Cloud Platform in diesem Kontext zu erreichen. Den Schluss zu ziehen, dass dieses Thema AWS nicht wichtig genug war, um größere Announcements auf der re:invent zu tätigen, wäre vermutlich nicht richtig. Die Relevanz des Themas für AWS lässt sich nicht an einem Event messen, jedoch offenbart die fehlende Präsenz auf der re:invent 2018, dass AWS hier in den kommenden Monaten sicherlich noch einmal nachlegen sollte.
Angst vor den anderen? Welche anderen?
Eine ebenso spannende Beobachtung fällt zum Umgang mit den Mitbewerbern auf. Lange Zeit war AWS unangefochten an der Spitze des IaaS-Universums. Das hat sich mittlerweile offenkundig etwas gewandelt. AWS ist und bleibt vorerst Marktführer im Cloud-Plattform-Umfeld, jedoch ist die Konkurrenz stärker denn je. Wie bereits oben beschrieben, ist AWS mit dem breitesten Portfolio sowohl in der cloud-native als auch Enterprise-Welt insgesamt sehr gut aufgestellt. Einzelne Services und Produkte, bspw. im Hybrid Cloud oder Container- und Open Source-Umfeld sind bei den anderen beiden großen Anbietern, auch aus der Historie heraus, stärker im Fokus gewesen. So kommt es, dass Microsoft und Google teilweise gleichauf oder sogar technisch besser aufgestellt sind als AWS.
Das schlägt sich das eine oder andere Mal auch in den Announcements nieder. Gerade im Bereich der Management Tools und Machine Learning, wo Google und Microsoft gut aufgestellt sind, hat auch AWS viele Lösungen gezeigt und teilweise offene Gaps geschlossen.
Andererseits schafft es AWS, wie in einem Tabu-Spiel, die Präsenz und Namen der Mitbewerber nie wirklich aufkommen zu lassen. AWS zeigt sich immer noch klar fokussiert auf die eigene Strategie und Kundenbasis. Eine wirkliche Markt- und Wettbewerbssituation zeigt sich nahezu nicht. Das löst AWS aber unter dem Strich sehr charmant, da der Charakter der Veranstaltung so klar in Richtung Roadmap und Kunden ausgerichtet ist und keine Ellenbogen-Gesellschaft hervorgebracht wird. In der Management-Etage wird die Wettbewerbssituation sicherlich anders bewertet, das Risiko wird das Team von AWS-CEO Andy Jassy nicht eingehen.
Abgeleitet: Die AWS Performance in Deutschland
Was bedeutet das nun für die Unternehmen in Deutschland? Einen regionalen Einblick in AWS konnte man auf der re:invent 2018 nicht erwarten – diese Erwartung wurde diesbezüglich auch erfüllt. Dennoch wehte auch ein Hauch Heimat durch die Hallen, als u.a. Bernd Heinemann von Allianz über die eigene AWS-Story gesprochen hat.
AWS hat den Beweis bringen können, dass deutsche Unternehmen dem Anbieter vertrauen und sich sogar in neue Themenfelder wie Machine Learning wagen. Im Verborgenen gelingt dies AWS & Co. immer häufiger.
Auf Lösungs- und Strategieebene gelten die grundsätzlichen Eindrücke natürlich auch für die deutschen Unternehmen. Fakt ist, dass mit den neuen Services für den traditionellen Betrieb, aber auch neue Innovationen rund um Analytics, Machine Learning und Co. neue Werkzeuge zur Verfügung stehen, die teilweise global verfügbar sind.
Für die deutschen Unternehmen hat sich durch die AWS re:invent jedoch auch nichts grundlegendes geändert. Die relevanten Änderungen haben sich hingegen schon im Laufe des Jahres ergeben. So ist AWS deutlich präsenter in Deutschland geworden und hat neben seinem physischen Rechenzentrumsstandort ein echtes Business etablieren können. Die DSGVO-Konformität und zahlreiche Änderungen im Kundenkontakt (deutschsprachige Rechnungen, Account Manager, Partner-Programme uvm.) zeigen die Relevanz des deutschen Marktes für AWS. Je eigenständiger und differenzierter das Business hierzulande ist, desto höher ist auch das Vertrauen der Kunden, die sich für AWS entscheiden.
In Summe nähert sich AWS diesen Kunden immer mehr an und bietet gerade im Management- und Hybrid-Betrieb neue Wege an, die auch unmittelbar für die Entscheider hierzulande gangbar werden. Es ist folglich kein Problem mehr, sich mit seinen eigenen Wünschen und Ideen an AWS heranzuwagen, um die eigenen Schwierigkeiten und Herausforderungen, die im jetzigen Standard bestehen, gemeinsam zu überwinden.
Ausblick AWS 2019 – Keep up the Pace, get (even) closer to the Enterprise
Damit kann AWS auch das kommende Jahr noch als Marktführer für Public Cloud-Infrastrukturen beginnen. Mit einer hohen Innovationspace alleine wird die Verteidigung dieser Position allerdings nicht gelingen. Insbesondere die Fortsetzung der Annäherung an die Kunden aus dem Enterprise-Segment wird der Schlüssel zum Erfolg sein. Gelingt es AWS, neben der Developer-Community auch die Enterprises weiter von sich zu überzeugen, stehen die Chancen sehr gut. Die re:invent 2018 war ein weiterer, gelungener Baustein dieses Weges, den AWS jedoch Tag für Tag erneut beweisen und bis in die Produkt- und Regionalteams etablieren muss.